Burger, Hannelore,
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden. Vom Ende des 18.
Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Böhlau, Wien 2014. 274 S. Besprochen von
Gerhard Köbler.
Seit seiner Entstehung sucht der Mensch den eigenen Nutzen
und stört sich nur wenig an der damit möglicherweise verbundenen
Beeinträchtigung des Mitmenschen. Deswegen ziehen ihn günstige
Lebensbedingungen an und bewirken mögliche Abwehrstrategien der durch den
Wettbewerb beeinträchtigten bisherigen alleinigen Nutzer. Aus diesem
Interessengegensatz sind in der Geschichte Feindschaften, Kriege und Straftaten
in unüberschaubarer Vielzahl erwachsen.
Mit der besonderen Geschichte des Heimatrechts und der
Staatsbürgerschaft von Juden im neuzeitlichen Österreich befasst sich das Werk
der als Lektorin an der Universität Wien tätigen Verfasserin, die nach dem
Studium von Geschichte und Philosophie an ihrer Heimatuniversität unter anderem
als Mitarbeiterin der österreichischen Historikerkommission wirkte. In ihrer
Wiener Dissertation des Jahres 1995 hatte sie sich mit Sprachenrecht und
Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen zwischen 1867 und
1918 auseinandergesetzt. Danach hatte sie sich bereits 1999 besonders dem
Begriff der österreichischen Staatsbürgerschaft seit dem josephinischen
Gesetzbuch zugewendet.
Die neue Monographie beruht auf den Ergebnissen eines
einjährigen gleichnamigen, vom Jubiläumsfonds der österreichischen Nationalbank
unterstützten Forschungsprojekts, in das Teilergebnisse einer 2004
veröffentlichten Arbeit über Staatsbürgerschaft und Vertreibung einfließen
konnten. Gegliedert ist das chronologische aufgebaute Werk nach einer
Einführung in einzelne Kapitel von der Epoche des josephinischen
Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus, über die Entwicklung von
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs, die
Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität
der Juden, die Juden im ersten Weltkrieg, Theorie und Praxis in der ersten
Republik, die Ausbürgerungen und Einbürgerungen des kurzen autoritären
Ständestaats, die Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung und Vernichtung während
der nationalsozialistischen Herrschaft Adolf Hitlers, die Wiederherstellung der
Staatsbürgerschaft in der zweiten Republik unter besonderer Berücksichtigung
des Falles Raviv, die Staatenlosigkeit als Massenschicksal am Beispiel Elias
Canettis und Manès Sperbers und semantische Nachbemerkungen. Insgesamt kann die
Verfasserin anschaulich die große Bedeutung des allmählichen Erwerbs der vollen
staatsbürgerlichen Rechte seit dem Josefinismus für den Aufstieg der Juden in
Österreich und des rechtswidrigen Entzugs für ihren weitgehenden Untergang
während des Nationalsozialismus zeigen.
Innsbruck Gerhard Köbler