Buchna, Kristian, Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre (= Historische Grundlagen der Moderne). Nomos, Baden-Baden 2014. 613 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Alle Menschen sind egoistische Individuen, welche die Welt nach Möglichkeit nach ihren Bedürfnissen und Interessen zu gestalten versuchen. Dies gilt nicht nur für alle weltlichen Politiker, sondern in gleicher Weise auch für Religionsstifter und ihre selbst ernannten Erben. Von daher bemüht sich die christliche Kirche seit fast 2000 Jahren um die Verwirklichung der von ihr im Wandel der Zeiten entwickelten Vorstellungen in der Gesellschaft.

 

Der 1983 geborene, in Geschichte, Germanistik und Philosophie in Augsburg ausgebildete, von der Studienstiftung des deutschen Volkes geförderte, am Augsburger Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte zwischen 2003 und 2012 als studentische Hilfskraft, Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter tätige, seit 2013 bei der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart wirkende Verfasser behandelt diese durch ein Foto Konrad Adenauers, Wilhelm Böhlers und Hermann Kunsts bei einem Empfang am 5. Januar 1958 veranschaulichte Thematik in seiner von Andreas Wirsching betreuten und im Wintersemester 2013/2014 von der philologisch-historischen Fakultät der Universität Augsburg angenommenen gewichtigen Dissertation in einem interessanten räumlich-zeitlichen Ausschnitt. Er gliedert sie nach einer Einleitung mit Bericht über Forschungsstand und Quellenlage in fünf Abschnitte. Sie betreffen die Ausgangslage und Weichenstellungen zwischen 1945 und 1949, die Gründung und Institutionalisierung der kirchlichen  Verbindungsstellen in Bonn mit Hervorhebung der Stellung Hermann Kiunsts und Wilhelm Böhlers im kircheninternen Spannungsfeld, das Wirken der kirchlichen Verbindungsstellen  in der Untersuchungszeit, die kirchlichen Verbindungsbüros im Spannungsfeld von Kirche und Politik und die erschwerten Bedingungen als Folge der Debatte um die Klerikalisierung und Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens in der Untersuchungszeit.

 

Auf Grund umfangreicher Quellenstudien stellt er fest, dass das katholische Büro Bonn unter Wilhelm Böhler und der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die kirchlichen Interessen in der Politik mit Erfolg zu vertreten versuchten. Dabei erkennt er in dieser Zeit eher eine Konfessionalisierung als den Beginn einer bis zur Gegenwart öffentlich angestrebten Entkonfessionalisierung. Im Ergebnis gelangt er zu der überzeugenden Einsicht, dass sich die von Hermann Kunst und Wilhelm Böhler maßgeblich begründeten und geprägten Einrichtungen des Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in  Deutschland und des katholischen Büros für beide Kirchen als zukunftsweisende Modelle der nach außen nur bedingt sichtbaren Vermittlung und Einflussnahme der Kirche auf die Politik erwiesen haben.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler