Breuer, Stefan, Der charismatische Staat. Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 319 S., 7 Kart. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Leben des einzelnen Menschen wird zwar überwiegend durch seine Anlagen, seine Umwelt und die auf dieser Grundlage von ihm in nicht wirklich bekannter Art und Weise getroffenen Entscheidungen sowie ähnliche Entscheidungen von Mitmenschen bestimmt, wesentliche Rahmenbedingungen setzen dabei aber seit Jahrhunderten oder vielleicht sogar Jahrtausenden die von ihm selbst hervorgebrachten Staaten, von denen in der Gegenwart 193 für mehr als 7,2 Milliarden Menschen anerkannt sind. Deswegen hat sich seit langem die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt des Staates und seinem Entstehungsgrund gestellt. Mangels konkreter Quellenaussagen lässt sich darauf letztlich wohl nur theoretisch konklusiv antworten.

 

Der in Eisenach 1948 geborene Verfasser des vorliegenden Werkes wurde nach dem Studium von Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Mainz, München und Berlin 1977 mit einer Dissertation über die Krise der Revolutionstheorie (Negative Vergesellschaftung und Arbeitsmetaphysik bei Herbert Marcuse) promoviert und 1982 mit einer umfangreichen Schrift über die Sozialgeschichte des Naturrechts habilitiert. Im Anschluss hieran wurde er Professor für Soziologie an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, die 2005 als Department in die Universität Hamburg eingegliedert wurde. Vor allem auf der Grundlage der Arbeiten Max Webers hat er neben zahlreichen weiteren Studien bereits 1998 eine Untersuchung über den Staat in Bezug auf Entstehung, Typen und Organisationsstadien vorgelegt.

 

Das jetzige, nicht zuletzt die Senkung der Ignoranzschwelle in der wissenschaftlichen Diskussion anstrebende Werk gliedert sich nach einer Einleitung vor allem örtlich. Nach einem Vorspiel auf dem Theater in Ozeanien (Melanesien, Westpolynesien, Ostpolynesien) durchstreift der Verfasser die Welt vom Andengebiet über Mesoamerika, China, Mesopotamien und Ägypten  bis zur Ägäis, wobei er grundsätzlich von Umweltbedingungen ausgeht und auf dieser Grundlage etwa die Küstenstaaten bis zur Inkazeit, die Hochlandstaaten bis zur Inkazeit, die Tieflandstaaten Mesoamerikas, die Hochlandstaaten  bis zur aztekischen Zeit, den Aufstieg des charismatischen Königtums in China einschließlich des Patrimonialstaats, die Wege zum Staat für Khuzistan und Sumer einschließlich der Herausbildung des patrimonialen Stadtkönigtums, Verbände und Staaten des Chalcolithikums oder die minoische und die mykenische Welt betrachtet. Im Mittelpunkt der Entwicklung des Staates sieht er dabei einen Wandel des Herrschers von einem Repräsentanten der Gemeinde gegenüber den Göttern zu einem Repräsentanten der Götter gegenüber der Gemeinde, in dessen Gefolge die Götter letztlich in den Hintergrund treten.

 

Innsbruck                                                                                          Gerhard Köbler