Böhm, Johann/Popa, Klaus, Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär. Die Gründungsmitglieder des Südostdeutschen Kulturwerks München und der Landsmannschaften der Deutschen aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien. Lang, Frankfurt am Main 2014. 358 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Für die Expansion Hitler-Deutschlands bot die Existenz volksdeutscher Minderheiten in vielen Staaten Ostmitteleuropas und Südosteuropas ideale Rahmenbedingungen, um unter dem Motto „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ die Vereinigung dieser Bevölkerungsteile mit der Masse des deutschen Volkes zu fordern und damit die betreffenden Länder massiv unter Druck zu setzen. Das Musterbeispiel für diese Erpressungspolitik liefert die Zerschlagung der Tschechoslowakei mit der Eingliederung des mit Masse deutsch besiedelten Sudetenlandes ins Deutsche Reich, der Schaffung des Protektorats Böhmen und Mähren sowie des slowakischen Satellitenstaates. Im Südosten gerieten die Volksgruppenführungen der Banater Schwaben in Jugoslawien, Ungarn und Rumänien sowie der seit dem Mittelalter im nunmehr rumänischen Siebenbürgen ansässigen Siebenbürger Sachsen zunehmend unter nationalsozialistischen Einfluss. Der Zusammenbruch des Dritten Reiches bedeutete zugleich die faktische Auslöschung dieser Volksgruppen: Als Kollaborateure gebrandmarkt, der Rache der Sieger ungeschützt preisgegeben, oft an Leib und Leben bedroht und durch Enteignungsdekrete in ihrer wirtschaftlichen Existenz vernichtet, entschied sich die überwiegende Mehrheit dieser Menschen für die Aussiedlung nach dem Westen Europas oder nach Übersee. Viele blieben dort den Traditionen ihrer ehemaligen Heimat weiter verbunden, indem sie sich in Landsmannschaften (heute: Verbände) organisierten, die wiederum für sich exklusiv die Vertretung der Interessen ihrer Landsleute und die Kulturpflege reklamierten. In der Bundesrepublik Deutschland wirkten in diesem Sinn das „Südostdeutsche Kulturwerk“ (gegründet 1951/1952) und dessen Publikationsorgan, die „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“ (ab 2006: „Spiegelungen“).

 

Der deutsche Historiker Johann Böhm ist gebürtiger Siebenbürger Sachse und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die fatale Verstrickung der seinerzeitigen Volksgruppenfunktionäre in den nationalsozialistischen Herrschafts- und Repressionsapparat aufzudecken. Schon seine Dissertation „Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien“ (1985), der eine Reihe thematisch eng verwandter Publikationen folgen sollte, erregte so sehr den Unwillen der Offiziellen in der Führungsriege der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, dass sich der Verfasser gegen unqualifizierte Angriffe in der „Siebenbürgischen Zeitung“ schließlich mittels eines gerichtlichen Prozesses zur Wehr setzte, in dem er seinen Angaben zufolge auch obsiegte (vgl. S. 15, Anm. 10). Böhms Co-Autor Klaus Popa, ebenfalls rumäniendeutscher Abstammung, hat sich als Herausgeber mehrerer Quelleneditionen zur Geschichte der Deutschen in Rumänien einen Namen gemacht. Mit der „Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik“ (1989ff.) ihres „Arbeitskreis(es) für Geschichte und Kultur der deutschen Siedlungsgebiete im Südosten Europas e. V.“ verfügen Böhm und Popa über ein verbandsunabhängiges kritisches Publikationsorgan, das als Korrektiv zur apologetisch eingestuften offiziellen Linie des Verbands wirken und sich um eine „umfassende und objektive Darstellung der Lage“ bemühen will. „Nationalismus, Revisionismus und politischen Extremismus jeglicher Couleur“ (S. 223) lehnen die Autoren expressis verbis ab.

 

Der raue Ton, der in dieser Auseinandersetzung herrscht, ist über die gesamte Länge des vorliegenden Bandes präsent, der sich mit der prekären, aber nicht überraschenden Tatsache auseinandersetzt, dass die ehemaligen NS-Aktivisten der Volksgruppen nach dem Krieg als Führungspersönlichkeiten der Landsmannschaften auftraten und diese Machtpositionen nützten, um die Deutungshoheit über die historischen Ereignisse zu monopolisieren, die Geschichte zu verfälschen und die eigene Rolle unter dem NS-System totzuschweigen oder zu verschleiern. Johann Böhm: „Nach achtundzwanzigjähriger Auseinandersetzung mit den ehemaligen Ostrittern der deutschen Volksgruppen in den oben erwähnten Ländern bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass man nach Kriegsende die Sache eines klar erkennbaren kriminellen Systems zu einer eigenen, zur vaterländischen erklärte“. In diesem Sinne sei, gefördert vom in der Bundesrepublik lange vorherrschenden gesellschaftlichen Klima des Schlussstriches, „bis in die Gegenwart“ der Typus des „maskierten Nazis“ am Werk, sogenannte „Zwangsdemokraten“, die es taktierend verstünden, „die Bundesbehörden um den Finger zu wickeln und ihre Kritiker als unglaubwürdig oder als ‚Linke‘ zu bezeichnen“. Und: „Für den Autor waren die Begründer des Südostdeutschen Kulturwerkes und der Landsmannschaftsführungen immer die klassischen Zwangsdemokraten. Aber noch unheimlicher wird ihm, wenn er die Abhängigkeit und Loyalität des Umfeldes, die Nachfolger und Nachahmer anschaut, die Frischlinge auf den Spuren der Alten, die Jünger mit den gesicherten Posten – die Epigonen“ (S. 9ff.).

 

Sodann werden im ersten, von Johann Böhm verfassten Abschnitt Lebenslauf und Wirken von sechs „Vertriebenenpolitiker(n) mit NS-Vergangenheit im ‚Südostdeutschen Kulturwerk‘“ dargestellt. Am ausführlichsten kommt dabei neben Prof. Dr. Friedrich Valjavec, Franz Hamm, Dr. Josef Trischler, Hans Diplich und Gertrud Krallert mit Dr. Heinrich Zillich (1898 – 1988) die Vita einer der – neben der Literatur-Nobelpreisträgerin von 2009, Herta Müller, – wohl bekanntesten rumäniendeutschen Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Schriftstellerei zur Sprache. Auf der Grundlage der Betrachtung ausgewählter Texte, an der Spitze Zillichs bekannte Eloge auf Adolf Hitler „Den Deutschen von Gott gesandt“, zieht der Verfasser den Schluss: „Eine eingehende Analyse seiner Werke und seines politischen Verhaltens ist umso mehr erforderlich, als Zillich auf seine Weise der Despotie seinen Tribut entrichtete, indem er im Augenblick der kritischen Entscheidung sich ihr nicht nur unterwarf, sondern ihr begeistert zustimmte und dazu beitrug, den unpolitischen Bildungsphilister zu beruhigen und der Despotie gefügig zu machen. […] Es mag wohl stimmen, dass Zillich literarische Fähigkeiten besaß, das bezweifele ich nicht. Wichtig aber ist, wie diese Fähigkeiten eingesetzt worden sind“ (S. 85ff.).

 

In seinem Beitrag „Heinrich Zillich nach 1945“ beleuchtet Klaus Popa dessen Nachkriegskarriere anhand einer Auswahl repräsentativer Texte und ortet dabei „ideologische Verstocktheit und Unbelehrbarkeit“. So verkehrte der Schriftsteller auch „in Zirkeln sowie Vereinen und Gesellschaften von Akteuren, die ihrem NS-Ideal weiter frönten“. Wie Böhm, lässt auch Popa dabei den Leser nicht im Unklaren, was er von den in den Führungskadern der Landsmannschaften vertretenen, ehemaligen NS-Volkstumsaktivisten hält: „Diese NS-Funktionäre gerierten sich in der frühen Bundesrepublik […] auf unverschämte Weise als ‚Vertriebene‘, wo sie sich eigentlich noch in letzter Minute vor der anrückenden Roten Armee durch Flucht westwärts abgesetzt hatten; manche dieser ehemaligen ‚Volksgruppen‘-Apparatschiks erschlichen sich zudem im Zuge des so genannten ‚Lastenausgleichs‘ durch die Anmeldung tatsachenwidriger Ansprüche auch noch finanzielle Zuwendungen seitens der Bundesrepublik“ (S. 90). Anschließend werden 18 weitere einschlägig belastete, aber nichtsdestotrotz in den „Südostdeutschen Vierteljahresblättern“ unkritisch glorifizierte Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien präsentiert: Hans Mieskes, Harald Krasser, Erwin Neustädter, Arnold Weingärtner, Hans Zikeli, Franz Hieronymus Riedl, Nikolaus Engelmann, Hans Christ; Rudolf Hollinger, Nikolaus Britz, Anton Valentin, Josef Gaßner, Fritz Poppenberger, Bruno Skrehunetz-Hillebrand, Friedrich Fiechtner, Oskar Hadbawnik, Erich Prokopowitsch, Otto Klett. Die Genannten „stellen nur einen Bruchteil der völkischen und NS-Gesinnungsgenossen von Heinrich Zillich dar, die trotz ihrer ehemals überaus aktiven Militanz […] ohne einschneidende Einbrüche ihre Berufskarrieren in der BRD und in Österreich fortsetzen konnten und ein Gewebe von Lügen und Stereotypen um ihre eigene und die NS-Vergangenheit ihrer ‚Volksgruppe‘ in eigens für sie von der Adenauer-Regierung geschaffenen Kulturinstitutionen propagandistisch kultivieren und verbreiten konnten“ (S. 188).

 

Im dritten, abschließenden Teil des Buches kommt wiederum Johann Böhm zu Wort. Er schildert darin zum einen seine publizistischen Auseinandersetzungen mit Karl M. Reinerths und Fritz Cloos‘ „Arbeitsgemeinschaft für Südostdeutsche Volks- und Heimatforschung“, die er der vorsätzlichen „Verdrängung und Umdeutung der historischen Entwicklung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien in der Zwischenkriegs- und Kriegszeit“ (S. 226ff.) bezichtigt, zum anderen die Querelen um die Veröffentlichung des Tagebuchs des 1932 bis 1941 amtierenden, von den Nationalsozialisten aus dem Amt getriebenen Bischofs der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien, D. Dr. Viktor Glondys, und die umstrittene Rolle des Bischofsvikars und Stadtpfarrers von Hermannstadt, Friedrich Müller. Den Ausführungen zufolge sollte die erst zugesagte Veröffentlichung der Tagebuchaufzeichnungen des Bischofs wegen der darin enthaltenen unbequemen Wahrheiten bewusst verschleppt und das Dokument unterdrückt werden, sodass Böhm sich zusammen mit Dieter Braeg 1997 selbst zur Publikation entschloss.

 

Mit seiner forschen Art und seinen klaren Aussagen ist der vorliegende Band somit prädestiniert, erneut Öl ins Feuer der Diskussion um die Rolle der volksdeutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa und Südosteuropa, ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus und dessen Persistenz zu gießen. Verdienstvoll sind die vermittelten Einblicke in Details des Werdegangs bekannter und auch allgemein weniger bekannter volksdeutscher NS-Aktivisten; Fritz Cloos soll beispielsweise vom NS-Spitzenfunktionär und SD-Agenten zum Spitzel der rumänischen Securitate mutiert sein (vgl. S. 211ff.). Der emotionale Gestus, den die Verfasser immer wieder an den Tag legen, resultiert wohl aus ihrer ehrlichen Betroffenheit und Empörung, könnte ihnen bei manchen Kritikern aber auch den Vorwurf mangelnder Distanz und unzureichender Sachlichkeit eintragen. Bemerkenswert ist, dass die offizielle Politik der Bundesrepublik, wie gezeigt, mehrfach explizit gerügt wird: Es sei schon schlimm genug, „unverbesserliche Menschen“ am Werk zu sehen, aber „viel schlimmer ist […], dass Beamte des ehemaligen Vertriebenenministeriums und danach des Innenministeriums bis Ende der 1990er Jahre diese geheimnisvolle Arbeitsgemeinschaft [des Cloos] finanziell unterstützten. Die Regale des Bundesarchivs […], das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes […], alle südostdeutschen Institute und Archive sind voll von Büchern, Broschüren und Vervielfältigungen der Pseudo-Forscher-AG des Fritz Cloos […]. Sie belieferten sogar die Bundeszentrale für politische Bildung mit historischem Material, das kommentarlos übernommen wurde“ (S. 219). Aufmerksamen Beobachtern wird nicht entgehen, dass das dargestellte Tauziehen um die Deutungshoheit über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen in der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia bereits ihren Niederschlag gefunden hat: Während der Eintrag zu Heinrich Zillich unverkennbar von der Handschrift der Kritiker geprägt ist, ignoriert der Artikel über den Verband der Siebenbürger Sachsen die gegen seine Führung erhobenen Vorwürfe völlig; unter dem Punkt „Kritik“ findet sich stattdessen lediglich die kryptische Formel, dass „eine Interessensvertretung, abhängig von der subjektiven Position, stets Kritik oder Zuspruch ausgesetzt (ist)“ [abgerufen am 17. 12. 2014].

 

Kapfenberg                                                               Werner Augustinovic