Zwischen Grenzkonflikt und Grenzfrieden. Die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Henningsen, Lars N. (= Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig 65). Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Flensburg 2011. 340 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die Übersetzung, redaktionell überarbeitete und aktualisierte Fassung des 2009 erschienenen Werkes „Sydslesvigs danske historie“. Begleitet wird die Darstellung durch Passagen aus Originalquellen, Schaubildern und Tabellen. Betreut wurde das Werk von der Studienabteilung an der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg. Henningsen (Leiter der genannten Studienabteilung) befasst sich in seinem Beitrag mit „Schleswig unter Dänemark“ (bis 1864). Es folgen die Beiträge von René Rasmussen (Museumskurator beim Danevirke Museum bei Schleswig, jetzt an der genannten Studienabteilung) mit der preußischen Zeit (bis 1945) und von Martin Klatt (Professor an der Universität Süddänemark in Sonderborg) über die Thematik: „Wiedervereinigung oder Minderheit 1945-1955“. Abschließend behandelt Jørgen Kühl (Rektor der A. P. Møller Skolen in Schleswig) die Zeit von 1955 bis Ende 2010. Henningsen weist in seinem Beitrag darauf hin, dass ab ungefähr 1800 die dänische Sprache in Südschleswig – das Herzogtum Schleswig reichte bis zur Königsau im Norden westlich von Ribe, im Osten bis an den Kleinen Belt südlich von Kolding – sich im Rückzug befunden habe (S. 24f.). Das Sprachreskript von 1840 beruhte auf einem Antrag der Nordschleswiger, der von der Schleswiger Ständeversammlung angenommen worden war. Es bezog sich primär auf die ländlichen Gebiete von Nordschleswig und besagte nichts über Südschleswig (S. 29). Die Sprachreskripte wurden bereits am 19. 2. 1864 aufgehoben (S. 46) und im ersten Halbjahr 1864 800 Beamte entlassen, die das neue Regime nicht anerkennen wollten (S. 47). Dänemark verlor durch den Friedensvertrag vom 30. 10. 1864 ein Drittel seiner Einwohner und zwei Fünftel seines Territoriums (S. 51). Der Prager Friede von 1866 enthielt auf Wunsch Napoleons III. die Klausel über eine mögliche Abstimmung in den nördlichen Distrikten von Schleswig, die Preußen nicht zuließ. Für die Kaiserzeit werden u. a. behandelt das Vereinswesen, die Reichstagswahlen, der 1869 begründete Flensborg Avis, dessen Hauptverbreitungsgebiet im nördlichen Schleswig lag. Ausführlich befasst sich Rasmussen mit den Abstimmungen von 1920 in den Stimmbezirken Nordschleswig und Mittelschleswig (zu letzterem gehörte Flensburg). Während bei der Abstimmung in Nordschleswig eine Mehrheit von fast 75% für Dänemark votierte (anders in den Städten Sonderborg, Apenrade und Tondern), votierten im Stimmbezirk Südschleswig 20% der Stimmberechtigten für Dänemark, wobei das Abstimmungsergebnis für Flensburg (25% der Stimmen für Dänemark) im Nachbarland große Enttäuschung hervorrief. Nach der Inflationszeit trugen insbesondere die preußischen Schulgesetze von 1926/1929 zur Konsolidierung des Bildungswesens der dänischen Minderheit bei (S. 107ff.). Die 1920 begründete Duborgschule in Flensburg war bis 1951 die einzige weiterführende dänische Schule in Südschleswig. In der NS-Zeit genoss der Flensborg Avis, der sich in die deutsche Innenpolitik nicht einmischte, jedoch zu Minderheits- und Grenzfragen Stellung nahm, einen gewissen Spielraum – nach Erklärung von Beamten im Propagandaministerium war Flensborg Avis das „freieste Blatt im Dritten Reich“ (S. 130).

 

Nach 1945 strebte die dänische Minderheit, die bei der Landtagswahl 1947 99.500 Stimmen (bei der Bundestagswahl 1949 75.000 Stimmen) erhielt, entgegen der Absagen aus Kopenhagen und der britischen Militärverwaltung eine Grenzverschiebung zugunsten Dänemarks an (S. 146ff.). Die Chancen, eine solche über das Selbstbestimmungsrecht zu erreichen, schwanden beträchtlich mit der Kieler Erklärung vom September 1949, welche die Rechte der dänischen Minderheit garantierte (S. 185ff.). Die Bonner-Kopenhagener Erklärungen von 1955, die im Zusammenhang mit der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Nato standen, sicherten der dänischen Minderheit die Befreiung von der 5%-Sperrklausel bei der Landtagwahl zu, schrieb das Recht zur Gesinnungsfreiheit, d. h. „sich frei zur dänischen Gesinnung, Sprache und Kultur zu bekennen (‚Minderheit ist, wer will’)“, fest und ermöglichte den dänischen Schulen die Durchführung von in Deutschland anerkannten Abschlussprüfungen (insbesondere des Abiturs). Im Zeitraum ab 1955 (S. 207ff.) verlor der Südschleswiger Verein (SSF) mit zur Zeit 14.000 Mitgliedern etwa die Hälfte seiner Mitglieder (vgl. S. 320). Der auf britischen Druck gegründete Südschleswigsche Wählerverband (SSW) erreichte bei den Landtagswahlen 2009 fast 70.000 Stimmen, die zu vier Sitzen im Landtag von Schleswig-Holstein führten (vgl. 320 f.). Nach 1989 sind die Minderheiten des Grenzlandes „zum Symbol für das gute deutsch-dänische Verhältnis“ geworden (S. 248). Der Modellcharakter dieses Verhältnisses wurde seitdem auch auf internationaler Ebene wahrgenommen (S. 247ff.).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einem Anhang, der u. a. die Wahlergebnisse für die dänische Minderheit, die Schülerzahlen an den dänischen Schulen, die Mitgliederzahlen für den SSF und den Namen der SSF- und SSW-Vorsitzenden enthält, sowie mit einem Personenregister. Für die Zeit zwischen 1840 und 1864 sowie für die preußische Zeit unter dem Kaiserreich wäre eine ausführlichere Darstellung erwünscht gewesen. Für diese Zeit vermisst der Leser detailliertere Hinweise auf die dänische Bevölkerung in Nordschleswig. Wie hat diese insbesondere auf die preußische Justiz und die Einführung des deutschen Rechts reagiert? Mit dem vorliegenden Werk liegt erstmals eine von dänischen Historikern verfasste Gesamtdarstellung der Geschichte der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein vor, die auch für den Rechtshistoriker, der sich mit dem Minderheitenrecht befasst, von Bedeutung sein dürfte.

 

Kiel

Werner Schubert