Zeyringer, Klaus/Gollner, Helmut, Eine Literaturgeschichte. Österreich seit 1650. StudienVerlag, Innsbruck 2012. 840 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Verfasser beginnen ihr kurzes Vorwort des gewichtigen Bandes mit der aus einem Jahrhundert der Diskussion erlangten Gewissheit, dass die historisch-gesellschaftliche und daher geistig-kulturelle Entwicklung in Österreich anders verlief als in Deutschland. Dementsprechend sei österreichische Literatur mit den Epochenschemata deutscher Geistesgeschichte in ihrer Eigenart kaum zu erfassen, das es keine authentische idealistische Klassik, keine Vorklassik der rationalen oder emotionalen Ich-Emanzipation, keine Romantik, keinen authentischen gesellschaftspolitischen Materialismus, keinen Naturalismus und so weiter gegeben habe und die deutschen Kategorien Franz Grillparzer nicht einordnen, die Bedeutung des Wiener Vorstadttheaters nicht anerkennen und den Nobelpreis für Elfriede Jelenik nicht verstehen konnten. Demgegenüber sei das Spezifische österreichischer Literatur aus dem historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext zu erklären, was auch, so hoffen die Autoren, davor schütze, österreichische Literatur als bloße Abweichung von der deutschen Literatur beschrieben zu bekommen.

 

Klaus Zeyringer wurde in Graz 1953 geboren, nach dem dortigen Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie auf Grund einer Dissertation über Sprach- und Situationskomik bei Karl Valentin 1980 promoviert und nach seiner Habilitation über österreichische Literatur der achtziger Jahre (1993) an die Université Catholique de l’Ouest in Angers berufen. 1999 legte er sein Werk über österreichische Literatur seit 1945 vor, das 2008 in dritter Auflage erschien. Helmut Gollner ist nach einem kurzen Verlagshinweis als freier Publizist und Literaturkritiker sowie als Universitätslektor an zahlreichen, vor allem ausländischen Universitäten tätig.

 

In wechselnder Verflechtung behandeln die beiden damit in Innenansicht wie Außenansicht erfahrenen Autoren nach einem einführenden Überblick als Prolog die Entstehung eines Kulturraums im 17. Jahrhundert mit Catharina Regina von Greiffenberg, Abraham a Sancta Clara, Johann Beer, Avancini, Rettenbacher und Laurentius von Schnüffis. Dem folgen die Gestaltung eines habsburgischen Überbaus (1700-1780), der Übergang vom aufgeklärten zum repressiven Absolutismus (1780-1815), ein Vorwärts in die Vergangenheit (1815-1848), Ferdinand Raimund, Johann Nestroy, Franz Grillparzer, Neoabsolutismus und Liberalismus (1848-1880/1890), Adalbert Stifter, Fin de siècle(1880/1890-1918), erste Republik und Austrofaschismus (1918-1938), 1938, 1938-1945 und länger, 1935-1970/1973, Ernst Jandl, 1970/1973-1986/1988/1989, Peter Handke, Elfriede Jelinek, 1986/1989-2012 und ein Epilog zu der Thematik wenn Faust unter die Österreicher gerät. Da Grillparzer, Hofmannsthal, Rilke oder Musil nach Ingeborg Bachmann nie hätten Deutsche sein können, ist es sehr hilfreich, dass es eine umfassende Übersicht über das spezifisch Österreichische innerhalb des deutschen, europäischen oder globalen Sprachraums gibt, die jedermann die Bedeutung Österreichs in der Weltliteratur ansprechend aufschließt.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler