Timmel, Johannes, Die Rechtsstellung der Juden im Kurfürstentum und Königreich Hannover (= Berichte aus der Rechtswissenschaft). Shaker, Aachen 2012. IX, 320 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit der Münsterschen Dissertation von Timmel liegt erstmals eine umfassende Darstellung der Rechtsverhältnisse der jüdischen Bevölkerung im Kurfürstentum/Königreich Hannover zwischen 1692 und 1866 vor, die sich auf zahlreiche regionale Studien über die Geschichte des jüdischen Lebens im Forschungsgebiet stützen kann. In diesem Zusammenhang ist besonders ergiebig das „Historische Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen“ (2 Bd., Göttingen 2005 hrsg. von Herbert Obenaus). Nach einem kurzen Abschnitt im Raum Hannover vor 1692 (S. 11ff.) behandelt Timmel die Rechtsstellung der Juden im Kurfürstentum Hannover, und zwar zunächst das System des Schutzverhältnisses aufgrund der persönlichen Schutzbriefe des Landesherrn. Dargestellt werden Inhalt und Umfang der Schutzbriefe, die rechtliche Situation der „Mitvergleiteten“, d. h. der Personen, die in den Schutz einbezogen wurden, sowie die finanziellen Belastungen (Schutzgeld, Stolgebühren, Leibzoll), die mit dem Schutzbrief verbunden waren (S. 18-79). Anschließend geht Timmel auf die Judenverordnungen des 18. Jahrhunderts (VO über Haus- und Grundstücksgeschäfte, über den Warenhandel, den Aufenthalt) und auf das 1687 geschaffene Landesrabbinat ein (S. 83-134), das insbesondere als Verbindungsstelle zwischen der landesherrlichen Obrigkeit und den Juden diente. Anschließend berichtet Timmel ausführlich über die Rechtsstellung der Juden im Königreich Westphalen (S. 149-204), wobei zu berücksichtigen ist, dass der nördliche Teil Kurhannovers erst Anfang 1810 Westphalen zugeschlagen wurde. Der nördlichste Teil des ehemaligen Kurfürstentums (insbesondere Lüneburg) wurde bereits 1811 im Rahmen der Hanseatischen Departemente Frankreich unmittelbar eingegliedert und nahm damit an der innerfranzösischen Gesetzgebung teil, die mit dem sog. décret infâme vom 17. 3. 1808 die Gleichberechtigung der Juden wieder erheblich einschränkte (S. 155ff.). In Westphalen wurden alle überkommenen Beschränkungen des rechtlichen Status der Juden durch Art. 10 der Verfassung vom 7. 12. 1807 aufgehoben. Die verfassungsrechtliche Gleichstellung wurde für die Juden durch ein Gleichstellungsdekret vom 27. 1. 1808 und Anweisungen der Regierung bekräftigt (S. 161ff.).

 

Der Nachfolgestaat, das Königreich Hannover, stellte 1813/1814 hinsichtlich der Juden den Status quo ante, d. h. den Rechtszustand wieder her, der für die kurfürstliche Zeit maßgebend gewesen war, ohne dass hierzu die gesetzlichen Grundlagen im Einzelnen genannt werden (vgl. S. 207f.). Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden vom 30. 9. 1842 verbesserte zwar ihre Rechtsstellung, ließ jedoch „einige gravierende Ungleichheiten“ (S. 274) bestehen (u. a. Verbot des freien Immobilienverkehrs; Beibehaltung des Schutzgeldes trotz Aufhebung des Schutzverhältnisses; fehlender Zugang zu Beamtenstellen). Weitere Beschränkungen des Rechtsstatus der Juden wurden durch eine Novelle von 1847 zum Gesetz von 1842 aufgehoben. Die volle rechtliche Gleichstellung erfolgte durch § 6 des novellierten Landesverfassungsgesetzes vom 5. 9. 1848 (S. 276ff.), das jedoch 1855 dahin ergänzt wurde, dass den Juden das passive Wahlrecht für die Ständeversammlung nicht weiter zustehen sollte (S. 281). Die Einverleibung Hannovers durch Preußen 1866/1867 brachte keine Verschlechterung der Rechtsstellung der Juden Hannovers.

 

Hervorzuheben ist, dass Timmel neben der Darstellung der jeweiligen Gesetzeslage auch auf die „tatsächlichen Lebensumstände“ (S. 4) ausführlich eingegangen ist. Auch wenn Timmel für seine Untersuchungen „wegen der langen Untersuchungsperiode und des weitläufigen Forschungsgebiets“ (S. 5) Vollständigkeit nicht angestrebt hat, wäre es zu begrüßen gewesen, wenn die Zeit des Königreichs Hannover etwas quellennäher behandelt worden wäre. Insgesamt hat Timmel die Rechtsstellung der Juden im 18. und 19. Jahrhundert für Hannover, das von seiner Größe und Bevölkerungszahl die fünfte Stelle unter den 38 Gliedstaaten des Deutschen Bundes einnahm, detailliert erschlossen. Ähnlich breite rechtshistorische Untersuchungen, die für nicht wenige Bundesstaaten noch ausstehen, wären für den von Timmel gewählten Zeitraum erwünscht.

 

Kiel

Werner Schubert