Schneider, Michael C., Wissensproduktion im Staat. Das königlich preußische statistische Bureau 1860-1914. Campus, Frankfurt am Main. 2013. 467 S.

 

Statistik ist die zahlenmäßige Erfassung häufiger oder massenhafter Gegebenheiten infolge bewusster Entscheidung bzw. die Lehre vom Umgang mit Daten. Sie löst die ältere Einzelerfahrung ab und will eine systematische Verbindung zwischen Erfahrung und Theorie herstellen. In wissenschaftlicher Weise erfolgt sie seit dem 19. Jahrhundert, als staatliches Interesse und tatsächliche Möglichkeiten dazu zueinander gefunden hatten.

 

Mit derGeschichte der Statistik in Preußen befasst sich die von Robert W. Lee und Jörg Vögele 2003 im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1106 der Deutschen Forschungsgemeinschaft über Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts Bevölkerung vor, im und nach dem Dritten Reich initiierte, im Sommersemester 2011 vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften der Universität Frankfurt am Main angenommene, drei Tabellen ausweisende, für den Druck geringfügig überarbeitete Fassung der Habilitationsschrift des Autors. Sie gliedert sich außer in Einleitung über Thema, Fragestellung, Forschungsstand und Quellen sowie Zusammenfassung und Anhang in drei Abschnitte. Sie betreffen erstens Organisation und Konzeption der preußischen amtlichen Statistik, zweitens die Volkszählung als Grundlegung des methodischen Paradigmas des preußischen statistischen Büros und drittens als Themenfelder der amtlichen Bevölkerungsstatistik die Statistik der Konfession, der Sprache und Nationalität sowie der Berufe (vor 1870/1882, 1882, 1895, 1907).

 

Im Ergebnis bestätigt der Verfasser auf der Grundlage auch ungedruckter Quellen des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde, des geheimen Staatsarchivs preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, des Archivs der Humboldt-Universität zu Berlin, des hessischen Staatsarchivs Darmstadt, des Generallandesarchivs Karlsruhe und des sächsischen Hauptstaatsarchivs Dresden die Erkenntnis, dass die Verwaltung moderner Staaten ohne Statistik und die zu ihrer Verwirklichung eingerichteten Ämter oder Behörden nicht mehr möglich ist. Dabei kann er zeigen, dass das in Berlin 1805/1810 gegründete statistische Büro (Bureau) Preußens in Verfolgung einer naheliegenden Eigendynamik immer größere Datenmengen erfasste. Insbesondere gelang es dem letztlich erfolglos Bewegungsgesetze der Gesellschaft vermutenden Statistiker Ernst Engel als Leiter der Behörde (1860-1882) die statistische, bis 1914 in 241 Bänden veröffentlichte Erfassung nach naturwissenschaftlichem Vorbild mehr und mehr zu verwissenschaftlichen, wenngleich der Verfasser am Ende seiner überzeugenden Untersuchung dem Glauben an eine unmittelbare Entsprechung von Zahlenbild und Wirklichkeit ansprechend Vorbehalte gegenüberstellt.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler