Schmoeckel,
Mathias, Die Jugend der Justitia - Archäologie der Gerechtigkeit im Prozessrecht
der Patristik. Mohr (Siebeck), Tübingen 2012. XIII, 224 S. Besprochen von
Gerhard Köbler.
Si in ius
vocat sind die Worte, die das Zwölftafelgesetz der Römer aus den Jahren 451/450
v. Chr. eröffnen und damit die große Bedeutung des Gerichts für das Recht zum
Ausdruck bringen, indem nämlich jedermann, der in das Gericht gerufen wird,
dorthin gehen muss. Daraus hat sich im Laufe der Zeit ein umfassendes
Rechtsgebiet Prozessrecht entwickelt, ohne dessen Kenntnis die Gewinnung von
Recht schwierig ist, weil es nach einer geläufigen Wendung gar nicht darauf
ankommt, dass man Recht hat, sondern nur darauf, dass man es auch bekommt oder
durchsetzen kann. Die Meilensteine des Weges von dem Zwölftafelgesetz zum
gegenwärtigen Prozessrecht zu suchen und zu finden, ist deshalb seit Langem
eine wichtige Herausforderung für jeden geschichtlich interessierten Juristen.
Den 1963
geborenen Bonner Rechtshistoriker Mathias Schmoeckel hat nach seiner eigenen
Vorbemerkung die Suche nach den Grundlagen des europäischen ius commune
insbesondere im Prozessrecht seit seiner großen Arbeit über die Abschaffung der
Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozess- und
Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter aus dem Jahre 2000 über die großen
Autoren des 9. Jahrhunderts wie etwa Hinkmar von Reims zur Lektüre der
Kirchenväter geführt. Im Gewand theologischer Argumentation fand er dort die
Positionen, die später typisch für das römisch-kanonische Verfahrensrecht
wurden. Dies nachzuweisen ist das besondere Anliegen der neuen, durch
verschiedene Aufsätze vorbereiteten, aber auf ein neues Gesamtbild
ausgerichteten Untersuchung.
Gegliedert
ist die interessante Studie in insgesamt acht Abschnitte mit einrahmender
Einleitung und abschließendem Rückblick, die im Inhaltsverzeichnis allerdings
überwiegend auf der Seite 82 festgehalten werden. Inhaltlich beginnt der
Verfasser mit einer Einführung über Gerechtigkeit als ethischem Maßstab der
Kirchenväter, schildert dann die Theologie des Verfahrensrechts (Aufgaben des
bischöflichen Gerichts, Skandal und Untersuchungspflicht, Notwendigkeit eines
Anklägers, Appellation als Weg zu einem besseren Urteil und Strafe als
Medizin), die Entwicklung eines christlichen Beweisrechts (Ich bin die
Wahrheit, Beweismittel Geständnis, Folter, Zeugen, Eidesleistung, Gottesurteil
und Notorietät) und die Aufgaben des christlichen Richters) und gelangt am Ende
zur Systematisierung des Prozessrechts im 9. Jahrhundert. Insgesamt erreicht
der Verfasser damit über das Recht als Mittel des Heiles eine neue Bewertung
der Rolle der Kirche auf der ewigen Suche nach Gerechtigkeit, deren Jugend
nicht in Rom oder Bologna gesehen wird, sondern in der christlichen Religion
der Spätantike und des Frühmittelalters, weshalb das abschließende
Rechtsquellenverzeichnis die Bibel auch den römischen Quellen zumindest
gleichstellt.
Innsbruck Gerhard
Köbler