Schlütz, Frauke, Ländlicher Kredit. Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889-1914) (= Schriftenreihe des Instituts für bankenhistorische Forschung 25). Steiner, Stuttgart 2013. 471 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die sozial- und wirtschaftshistorisch ausgerichteten Untersuchungen von Frauke Schlütz über die ländlichen Kreditgenossenschaften sind auch für den Rechtshistoriker von Interesse, da es in dem Untersuchungszeitraum von 1889 bis 1914 auch um die Implementation der Neufassung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 1889 geht. Das Genossenschaftsgesetz von 1889 löste das preußische/norddeutsche Genossenschaftsgesetz von 1867/1868 ab und brachte als wichtigste Neuerungen die zweijährige Pflichtrevision und den obligatorischen Aufsichtsrat. Anhand von Originalquellen untersucht Schlütz die Entstehung und Entwicklung der ländlichen Kreditgenossenschaften in den ehemaligen oberbergischen Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (in der ehemaligen preußischen Rheinprovinz gelegen; in der napoleonischen Zeit zum Großherzogtum Berg gehörig). Die ersten Raiffeisen-Kassenvereine entstanden bereits 1874 in den Kreisen Waldbröl und Gummersbach (S. 416f.). In der preußischen Rheinprovinz bestanden 1900 850, 1905 1200 und 1914 1500 ländliche Kreditgenossenschaften, die entweder dem Verband rheinischer Genossenschaften (Köln) oder dem Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften (Bonn) oder dem Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Koblenz) angehörten, über die vornehmlich die Neugründung von Kreditgenossenschaften erfolgte und welche die Muster-(Normal-)Statuten zur Verfügung stellten (S. 149ff.).

 

In Kapitel II untersucht Schlütz zunächst „Wirtschaft und Gesellschaft“ in den genannten drei Kreisen (S. 62-116; u. a. Betriebsgrößenstruktur, Agrarpolitik, Konjunkturlage, Verkehrsnetz, Bevölkerungsentwicklung sowie Erwerbsstruktur und konfessionelle Struktur). Die durch „Kreditnot“ gekennzeichnete Situation auf dem ländlichen Kreditmarkt vor der Gründung der ersten Kreditgenossenschaften im Untersuchungsgebiet ist Gegenstand des dritten Kapitels  (S. 117-144). Die Kernanalyse erfolgt in Teil IV: „Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz“ (S. 145-201). Nach Skizzierung der rein zahlenmäßigen Verbreitung der Kreditgenossenschaften werden vorgestellt die einzelnen regionalen „Genossenschaftsverbände, denen die Kreditgenossenschaften aufgrund des Genossenschaftsgesetzes von 1889 angeschlossen zu sein hatten und die durch die gesetzlich vorgeschriebene Revision großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Genossenschaften nahmen“ (S. 12). Herausgestellt werden ferner die Prinzipien des inneren Aufbaus und der Geschäftspolitik der ländlichen Kreditgenossenschaften. Wichtig ist auch die biographische Kennzeichnung der wichtigsten Persönlichkeiten des rheinischen Genossenschaftswesens (S. 181ff.). Auf der Grundlage des Ergebnisse des vierten Kapitels geht es in Teil V um die Statuten, die Geschäftsordnungen und die Verwaltungsorgane der Kreditgenossenschaften (S. 202-233). Am Genossenschaftsrecht von 1889 ist orientiert Kapitel VI über Standardisierung durch einheitliche Strukturen und die Kontrolle durch die Revision (S. 232-265; S. 235ff. zur Entstehung der Bestimmung über die Pflichtrevision im Gesetz von 1889; zu den Reformen des Revisionsrechts von 1933/1934 vgl. W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht, Bd. IV, 1989, S. 8ff.). Ein eventuelles Versagen der Revision wird für zwei Beispiele näher untersucht (S. 258ff.). Im Kapitel VII befasst sich Schlütz mit den unterschiedlich großen Geschäftsbezirken und der Mitgliederentwicklung (S. 266-293) und anschließend in Kapitel VIII mit der Geschäftstätigkeit am Beispiel von fünf Genossenschaften (S. 294-396). Nach dem Kapitel IX über die Konkurrenz der Kreditgenossenschaften mit den Sparkassen (S. 397-410) fasst Schlütz die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in hinreichender Breite in sechs Abschnitten zusammen (S. 411-433). Die zahlreichen Abbildungen, Karten und Tabellen (Verzeichnis S. 461ff.) veranschaulichen die Ergebnisse der Untersuchungen in umfassender Weise. Abschließend bringt der Band eine Übersicht über die ländlichen Kreditgenossenschaften im Untersuchungsgebiet und über die Entwicklung der Zentralkassen in Bonn und Köln (S. 464ff.). Ein Sachregister, das hilfreich gewesen wäre, fehlt. Überzeugend stellt Schlütz als Fazit ihrer Untersuchungen fest: „Mit der Formalisierung von Kreditbeziehungen trugen die Kreditgenossenschaften zur Modernisierung der ländlichen Gesellschaft bei: Die Kreditgenossenschaften brachten der ländlichen Gesellschaft das Bankgeschäft. Die Kreditgenossenschaften unterstützten damit den Strukturwandel der Landwirtschaft und ländlicher Gewerbe, da mit Hilfe der Genossenschaften viele Betriebe notwendige Investitionen vornehmen konnten“ (S. 433). Insgesamt bringt das Werk einen detaillierten Einblick auch in die Praxis des Genossenschaftsrechts von 1889 hinsichtlich der Kreditgenossenschaften. Weitere, ebenso an Einzelbeispielen orientierte Untersuchungen für andere Genossenschaftsgruppen (etwa für die Bezugs- und Absatzgenossenschaften, die Konsumgenossenschaften und die Molkereigenossenschaften; vgl. S. 159f.) wären erwünscht.

 

Kiel

Werner Schubert