Sagemann, Mirka, Krankenfürsorge für das Gesinde. Eine Untersuchung zum Landrechtsentwurf Pufendorfs und zur Arbeiterschutzgesetzgebung bis 1900. Nomos, Baden-Baden 2012. 194 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat dem sich mehr und mehr durchsetzenden Liberalismus mit allen seinen Vorteilen und Nachteilen als Ausgleichsgedanke der Sozialismus gegenüber. Er fand ziemlich rasch so viele Anhänger, dass ihn Otto von Bismarck 1878 durch Gesetz zu verbieten versuchte, obgleich Gedanken so flüchtig und beweglich sind, dass sie sich nirgends und nie wirklich durch eine rechtliche Maßnahme verbieten lassen. Dementsprechend entschied sich Otto von Bismarck in später Einsicht der Vergeblichkeit einer Feindschaft gegenüber Arbeitern, Proletariern und Sozialisten zu deren Umarmung durch die Sozialversicherung mit all ihren in der Anfangszeit nicht für wahrscheinlich gehaltenen Folgeproblemen.

 

Mit einem Teilbereich dieser sehr interessanten Thematik befasst sich die vorliegende, von Gottfried Schiemann fürsorglich betreute, im Jahre 2012 von der juristischen Fakultät der Universität Tübingen angenommene Dissertation der 1983 geborenen, zeitweise als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Tübingen und nach dem zweiten juristischen Staatsexamen als Rechtsanwältin tätigen Verfasserin. Sie greift dabei historisch erfreulich weit zurück, indem sie von dem Entwurf eines hannoverschen Landrechts ausgeht, den Friedrich Esaias Philipp von Pufendorf wahrscheinlich zwischen 1770 und 1772 erstellte. Dementsprechend behandelt nach einer Einleitung der zweite Teil der Untersuchung den Entwurf und seinen Verfasser und der dritte Teil den Titel 63, §§ 27-30, während Teil 4 eine vergleichende Untersuchung innerhalb der hannoverschen Rechtsentwicklung vornimmt und Teil 5 eine Bewertung im Vergleich der gesamten deutschen Rechtsentwicklung des 18. und 19. Jahrhundert bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 durchführt.

 

Dabei kann die Verfasserin in ihrer schlanken, Hermann Conrads Deutsche Rechtsgeschichte in der ersten Auflage des ersten Bandes einbeziehende Untersuchung zeigen, dass nach Pufendorf der Anspruch des Gesindes auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in Hannover zwar gewohnheitsrechtlich anerkannt, aber so umstritten war, dass Pufendorf ihn in seiner Konversengesetzgebung regelte, um Rechtsunklarheit(en) vorzubeugen. Eine erste neuere Dienstbotenordnung wurde in Hannover jedoch erst 1838 erlassen. Die dabei bestehenden unterschiedlichen Interessen von Gesinde und Herrschaft führten in diesem schwierigen rechtlichen Ringen, das auch an Hand einiger Entscheidungen veranschaulicht wird, dazu, dass die Ungleichbehandlunge der Gesindearbeitskräfte erst durch die Aufhebung aller Gesindeordnungen im Jahre 1918 beseitigt und erst 1968 auch Art. 95 EGBGB aufgehoben wurde.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler