Resch, Stephan, Das Sozialistengesetz in Bayern 1878-1890 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 161). Droste, Düsseldorf 2012. 326 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Durchführung des Sozialistengesetzes von 1878 in den einzelnen Bundesstaaten ist bisher nur unzureichend erforscht (Ausnahmen für Württemberg und Hamburg; vgl. S. 18, Fn. 33, 34). Dies gilt insbesondere auch für Bayern, dem nach Preußen zweitgrößtem Bundesstaat, für das bisher hinsichtlich der Praxis des Sozialistengesetzes keine Darstellung vorlag. Maßgebend für die Untersuchungen Reschs war nicht „eine quantitative Untersuchung in die Breite, sondern eine qualitative Studie in die Tiefe“ (S. 11). Dies bedeutet im Kontext der qualitativen Auswahl, dass nicht über ganz Bayern „verstreut verschiedene Orte“, sondern Regierungsbezirke ausgewählt wurden, die ein Optimum von bestimmten Kriterien erfüllen, somit Regierungsbezirke „mit Orten unterschiedlicher Größe, industrieller Struktur und Arbeiterschaft sowie unterschiedlichen lokalen politischen und konfessionellen Strukturen“ (S. 13). Unter Beachtung dieser Kriterien kristallisierten sich die Regierungsbezirke Oberbayern (München), Mittelfranken (Nürnberg) und Schwaben (Augsburg) als Untersuchungs- und Vergleichsgegenstände heraus. Im ersten Kapitel geht Resch auf die Sozialdemokratie vor dem Sozialistengesetz und auf die Haltung der bayerischen Regierung zu diesem Gesetz im Bundesrat ein (S. 23ff.), die mit den anderen Mittelstaaten eine grundsätzlich dezentrale Durchführung des Sozialistengesetzes durchsetzte. Insgesamt wurde Preußen lediglich die Schaffung einer Bundesratskommission als reichsunmittelbare Beschwerdeinstanz zugestanden (S. 60; § 26 des Gesetzes), über deren Tätigkeit das Werk Reschs keine näheren Einzelheiten enthält.

 

Der Vollzug des Sozialistengesetzes war in Bayern den Bezirksregierungen und deren Polizeikommissaren unterstellt, ohne dass das Innenministerium detaillierte Richtlinien erließ. In der dezentralen Durchführung des Gesetzes unterschied sich Bayern deutlich von Preußen, welches das Polizeipräsidium Berlin als leitende Stelle für den Gesetzesvollzug bestimmte (S. 62). Im zweiten Kapitel: „Die Bayerische Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz“ (S. 63-284) beschreibt Resch die Durchführung dieses Gesetzes innerhalb von vier Phasen (erste harte Phase von 1878-1882, „milde“ Praxis von 1883/1884, erneute Repression ab 1885 und Sozialdemokratie im Aufwind ab 1889/1890). Behandelt werden u. a. die Reichstagswahlen (erster sozialdemokratischer Abgeordneter aus Bayern war Karl Grillenberger für Nürnberg), Versammlungen, Vereinstätigkeiten, Verbreitung der in Zürich erscheinenden Zeitung: „Der Sozialdemokrat“ und Strafprozesse (u. a. die drei Münchner Geheimbundprozesse von 1882, 1886 und 1888). Ein Abschnitt über die bayerische Justiz (einschließlich der Staatsanwaltschaft) im Zusammenhang mit dem Sozialistengesetz wäre erwünscht gewesen. Insgesamt geht die Darstellung chronologisch vor; in diesem Rahmen wäre vielleicht im Interesse der Übersichtlichkeit eine stärker zentrierte Darstellung nach Regierungsbezirken zu bevorzugen gewesen. Alles in allem findet die zentrale These der Arbeit Bestätigung, dass nämlich das Sozialistengesetz regional wie zeitlich unterschiedlich gehandhabt wurde.

 

In Kapitel 3 geht Resch auf die weitere Entwicklung der Sozialdemokratie in Bayern, die Auswirkungen des Gesetzes auf die Sozialdemokratie und insbesondere auf die Bedeutung des Gesetzes im Hinblick auf den deutschen Föderalismus (S. 296ff.) ein. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass sich das Berliner Polizeipräsidium unter Umgehung der zentralen Behörden wohl wiederholt an die Bezirksregierungen wandte, welche wiederum die ihr unterstellte Polizei einschalteten (S. 297ff.). Hierbei rührte die Autorität Berlins „nicht von einer umfassenden Weisungsbefugnis her, sondern von der freiwilligen Bereitschaft der mittleren Regierungsebenen Bayerns, dem Ansinnen Preußens Folge zu leisten“ (S. 307). Inwieweit man in diesem Zusammenhang von einer „Verpreußung Deutschlands“ (bereits ein zeitgenössisches Schlagwort, S. 307) sprechen kann (S. 306ff.), müsste allerdings noch näher untersucht werden. Insbesondere wehrte sich Bayern zum Teil mit Erfolg gegen zu weitgehende Zugeständnisse in der Schlussphase des Zustandekommens des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Auch inwieweit in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ein „grundlegender Wandel“ auch in der „judikativen Praxis“ stattgefunden hat (S. 308f.), müsste noch anhand der Urteilspraxis u. a. der bayerischen Gerichte und auch des Reichsgerichts näher untersucht werden, dessen Urteile in Strafsachen in einer vollständigen Sammlung in der Bibliothek des Bundesgerichtshofs greifbar sind.

 

Insgesamt liegt mit der Studie Reschs eine detailgesättigte Darstellung über die Anwendung des Sozialistengesetzes in Bayern vor, die durch eine rechtshistorische Aufarbeitung der judiziellen Praxis des Gesetzes in Bayern und Preußen ergänzt werden würde.

 

Kiel

Werner Schubert