Piela, Ingrid, Walter Hallstein - Jurist und gestaltender
Europapolitiker der ersten Stunde. Politische und institutionelle Visionen des
ersten Präsidenten der EWG-Kommission (1958-1967). BWV, Berlin 2012. 186 S.
Die Schwerpunkte der an der Fernuniversität Hagen entstandenen rechtswissenschaftlichen Dissertation Ingrid Pielas sind die politischen und institutionellen Europa-Visionen Walter Hallsteins, des Präsidenten der EWG-Kommission von 1958 bis 1967, und deren Umsetzung während seiner Amtszeit (S. 13). Nicht angestrebt wurde eine Biographie Hallsteins, die wegen der dazu erforderlichen Auswertung nicht nur des umfangreichen Nachlasses, sondern auch der Ministerial- und Kommissionsakten wohl nur im Rahmen eines mehrjährigen, interdisziplinären Forschungsprojekts möglich wäre. In einem ersten Teil: „Der Mensch Walter Hallstein“ befasst sich Piela mit der Herkunft, der Ausbildung und der wissenschaftlichen Laufbahn Hallsteins (1929 Habilitation, 1930 ord. Prof. in Greifswald, ab 1941 in Frankfurt am Main). Es folgt ein Abschnitt über Hallstein als Politiker und Abgeordneter (S. 33ff.), in dem Piela auf Hallsteins Tätigkeit zunächst als Staatssekretär für außenpolitische Aufgaben im Bundeskanzleramt und ab 1951 als Staatssekretär im Auswärtigen Amt eingeht. Hallstein war Leiter der deutschen Delegation für die Verhandlungen über den Schumann-Plan, die zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führten. Im Abschnitt über den „gestaltenden Europapolitiker“ geht Piela ein auf die Beteiligung Hallsteins an der Ausarbeitung des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, zu deren Präsidenten Hallstein 1958 von den Außenministern der ersten sechs Mitgliedsstaaten gewählt wurde (S. 37ff.). 1967 trat er im Hinblick auf die Sicht de Gaulles von einem „Europa der Vaterländer“ (S. 59) vom Präsidentenamt zurück. 1969 kam sein Werk „Der unvollendete Bundesstaat“ heraus, das 1979 in erheblich erweiterter Fassung unter dem Titel: „Die Europäische Gemeinschaft“ erschien. In weiteren Abschnitten befasst sich Piela mit dem schriftstellerischen und dem rednerischen Werk Hallsteins (S. 43 ff.).
Anhand insbesondere der 1. und 5. Auflage des genannten Hauptwerks und ausgewählter Reden im zweiten Hauptteil ihres Werkes beschäftigt sich Piela mit den „Europa-Visionen“ Hallsteins (S. 57-101) in drei Abschnitten: Die Methode Hallstein, die institutionelle Konzeption und die „politische Idee“. Hallsteins Ziel war nach seiner eigenen Formulierung von 1979, „dass in Europa eine Föderation angestrebt wird, ein Bundesstaat, nicht ein Einheitsstaat“ (S. 94). Im Schlussabschnitt „Gesamtwürdigung“ (S. 102ff.) befasst sich Piela mit der Wirkung der Ideen Hallsteins auf die Entwicklung der Europäischen Union. Das Werk wird abgeschlossen mit einer Zeittafel „Walter Hallstein und die Europäische Integration“ (S. 122 ff.), mit einer umfangreichen Bibliographie Hallsteins (S. 126-169), für die eine absolute Vollständigkeit nicht angestrebt wurde, und mit einem Personenverzeichnis, das die „Einordnung der Beteiligten in den geschichtlichen Kontext“ erleichtern soll (S. 26; S. 183-185). Piela hat die europapolitischen Ideen und Ziele Hallsteins präzise herausgearbeitet. Dass Piela nicht detailliert beispielhaft „konkrete Politikabläufe“ (Buchstab in der FAZ vom 8. 2. 2013) herausgearbeitet hat, mag man bedauern, dürfte aber angesichts des Fehlens einer historischen Aufarbeitung des Quellenmaterials über die Tätigkeiten Hallsteins kaum zu realisieren gewesen sein. Aufschlussreich wäre es allerdings gewesen, wenn Piela die französische Sicht der Ideen der Amtstätigkeit Hallsteins – das Werk Hallsteins von 1969 lag in französischer, italienischer, spanischer, englischer und schwedischer Sprache vor (S. 168) – in ihre Untersuchungen mit einbezogen hätte. Insgesamt bringt Piela eine detaillierte Einführung in „Leben und Werk“ des brillanten Juristen und bedeutsamen, gestaltenden Europapolitiker Walter Hallstein, das auch aus rechtshistorischer Sicht noch weiterer Erforschung bedarf.
Kiel |
Werner Schubert |