Pendas, Devin O., Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht. Aus dem amerikanischen Englischen übersetzt v. Binder, Klaus. Siedler, München 2013. 432 S., 19 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Das Buch erschien 2006 unter dem Titel „The Frankfurt Auschwitz Trial 1963-1965“ in Cambridge/Großbritannien. Der Autor wollte als studierter Historiker ersichtlich der Leserschaft im anglo-amerikanischen Bereich Rechts- und Verfahrensfragen um den Prozess in Frankfurt im Vergleich zu einer möglichen Vorgehensweise in den Vereinigten Staaten von Amerika erläutern. Vor diesem Hintergrund sind für einen juristischen Leser in Deutschland viele Aussagen schwer nachzuvollziehen. Im Text wird nicht sorgfältig genug herausgearbeitet, welche Vorgehensweise auf der Basis der historisch herausgearbeiteten Kenntnisse des Jahres 2006 bzw. 2013 wünschenswert gewesen wäre und welche Vorgehensweise aus Rechtsgründen mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Jahre um 1963 dem Verfahren in Frankfurt zu einem Erfolg verhelfen konnte. In einem Nachwort zur deutschen Ausgabe (S. 327-330) sucht der Autor darzustellen, dass er heute eine etwas andere Sichtweise zu Aussagen in der Originalausgabe hat. In diesem Zeitraum haben sich jedoch die Umstände nicht so verändert, als dass sie die gemachten Aussagen beeinflussen könnten.

 

Der Verfasser schildert sehr ausführlich die Vorgeschichte des von Vielen in der Bundesrepublik Deutschland nicht gewollten Verfahrens. Unbestritten dürfte sein, dass das Verfahren in der durchgeführten Form nicht ohne das jahrelange Drängen des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer zustande gekommen wäre.

 

Materialreich arbeitet der Verfasser heraus, dass andere Prozessbeteiligte, besonders mit Unterstützung aus Berlin (Ost), das Verfahren förderten, ohne dass es ihnen primär um die Opfer der Mordtaten ging, sondern sie sahen diesen Prozess als einen Weg, die Bundesrepublik Deutschland, die sich völkerrechtlich als der alleinige Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches betrachtete, als mitverantwortlich für die Verbrechen hinzustellen, die in Auschwitz begangen worden waren. Bezeichnenderweise führten die Organe der Deutschen Demokratischen Republik keinen derartig aufwändigen Prozess gegen eine Mehrzahl von Angeklagten, der auch nur in Ansätzen rechtsstaatlichen Ansprüchen Rechnung getragen hätte. Mögliche Täter lebten auch in ihrem Einflussgebiet.

Dieser zeitgeschichtliche Hintergrund wird vom Verfasser ausgeblendet. Der Verfasser vermisst an dem Frankfurter Verfahren, dass nicht die Verbrechenstatbestände der Nürnberger Prozesse, wie Menschheitsverbrechen, der Anklage und damit später auch der Verurteilung zugrunde gelegt wurden, sondern das deutsche Strafgesetzbuch und die deutsche Strafprozessordnung. Für diese Sicht auf die Rechtsfragen ist es bezeichnend, dass im Text und im Literaturverzeichnis allein die Ausführungen des Richters Dr. Hofmeyer darauf hinweisen, dass sich im April 1966 in Königstein 18 Juristen der verschiedensten Herkunft mit Fragen der Verfolgung und Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen befasst haben. Ihre Ergebnisse wurden im Herbst 1966 im Rahmen des 46. Deutschen Juristentages vorgestellt und diskutiert. Die Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Band II, Teil C, München/Berlin 1967, dokumentieren diese juristischen Erörterungen. An der Tagung nahmen neben Autoren, die der Verfasser auch zitiert, u. a. Fritz Bauer und Henry Ormond teil. Gerade Rechtsfragen, wie die Annahme einer Realkonkurrenz oder einer Idealkonkurrenz (S. 211) wurden von den Teilnehmern, die den verschiedenen strafrechtlichen Schulen anhingen, umfassend erörtert und es wurde dabei festgestellt, dass Unterschiede der Schulen bei einer Aburteilung nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen müssten. Die Tagung zeigte deutlich, dass seit 1949 ohne Schaffung eines Sonderrechts, das grundgesetzwidrig wäre, rechtlich keine andere Vorgehensweise bei nationalsozialistischen Gewaltverbrechen möglich war. Bei dieser Tagung wurde auch ausführlich diskutiert, den Begriff der Beihilfe so weit zu fassen wie später im Münchner Verfahren gegen John Demjanuk. Damals bestand Einigkeit darüber, dass eine solche Verfahrensweise mit dem Strafrecht in der damals geltenden Fassung nicht vereinbar sei. Hierbei wurde bereits berücksichtigt, dass dieses Verfahren auch eine Probe für die Bewährung des Rechtsstaats war. Dieses Verfahren sollte darauf beschränkt bleiben, einzelnen Tätern einzelne Taten zuzuordnen. Gerade im Gegensatz zu den Verfahren des Bezirksgerichts (Landgerichts) Dresden in Waldheim (1950) sollte die Einzelverantwortlichkeit bestraft werden; es sollte nicht eine pauschale Verurteilung für die Anwesenheit zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, an dem Verbrechen in großer Zahl begangen wurden, erfolgen.

 

Der Verfasser rügt an verschiedenen Stellen, dass das Gericht die Teilnahme am Völkermord nicht zur Grundlage persönlicher Schuld machte. Hier zeigt sich ein Unverständnis für unterschiedliche Rechtstraditionen. Die Teilnahme an einem Völkermord ist erst nach 1949 als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch (der Bundesrepublik Deutschland) eingefügt worden. Eine Rückwirkung oder auch nur das Abstellen auf diesen Gedanken zur Begründung einer Strafbarkeit ist nach deutschem und wohl auch kontinentaleuropäischem Rechtsverständnis nicht vertretbar. Unrechtstaten sind natürlich durch ein Unrechtssystem leichter zu verfolgen, ein Rechtsstaat, der noch um die Festigung im öffentlichen Bewusstsein kämpft, kann sich solche Fehlleistungen, auch bei noch so gutem Wollen, nicht leisten.

 

Bewusst wollten sich die Vertreter der Justiz in der Bundesrepublik, wie Richter Hofmeyer betonte, vom „Rechts“-Verständnis auch der NS-Zeit absetzen, nach dem, wie beim Landgericht Dresden, eine  Schuld schon angenommen wurde, wenn jemand einer bestimmten Gruppe zugehörte (S. 247). Schon damals erkannte man an, dass tatsächlich eine größere Verfolgungsintensität gegen mehr Einzeltäter notwendig gewesen wäre, doch darüber hatten die Beteiligten nicht (mehr) zu entscheiden.

 

Angesichts aller Einwendungen, die gegen das mögliche Täter begünstigende Nichtverfolgen zu erheben sind, ist zu berücksichtigen, dass alle vier Alliierte die Nicht-Vorgehensweise kannten und nicht beanstandeten. Man mag daran denken, dass bei einer Ruhe um die Verbrechen auch nicht diskutiert wurde, warum die Alliierten bis Kriegsende diese Straftaten nicht stärker behinderten.

 

Durch die Vielzahl der mindestens seit 1960 geführten Verfahren ist die Kenntnis über die Verbrechen so zum Allgemeingut geworden, dass es heute leicht ist, das Versagen früherer Jahre anzuprangern. Gerade das Literaturverzeichnis zeigt, wie viele Studien zu einzelnen Aspekten der Verbrechen entstanden sind. Natürlich ist zu fragen, wo die Anreger für derartige Studien in den Jahren zwischen 1950 und 1980 gelebt haben.

 

Die Darstellung ist von dem Verständnis des amerikanischen Strafprozesses durchzogen, das der Staatsanwaltschaft eine ebenso einseitige Stellung einräumt wie der Verteidigung. Eine Verteidigung, deren alleinige Aufgabe darin besteht, die Interessen der Angeklagten auf eine niedrige Strafe oder gar einen Freispruch durchzusetzen, wird dadurch in störender Weise immer mit dem Geruch der Geistesverwandtschaft zu den Angeklagten verknüpft. Liest man die Ausführungen der Verteidigung und die dazu gestellten Beweisanträge, die das Gericht zu beachten hatte, und vergleicht sie mit Anträgen, die in heutigen Verfahren abgelehnt werden, so erschrickt man über die Wandlungen, welche die Strafprozessordnung insbesondere durch die RAF-Verfahren zwischenzeitlich erfahren hat. Der Verfasser liefert durch Auswertung des Frankfurter Verfahrens in dieser Hinsicht einen wertvollen Beitrag zur Strafrechtsgeschichte der letzten 50 Jahre.

Zu bedauern ist, dass der Verfasser dem Urteil des Bundesgerichtshofes als Revisionsinstanz keine Aufmerksamkeit schenkt und sich mit ihm nicht in einem eigenen Abschnitt auseinandersetzt. Gerade an diesem Urteil lässt sich aufzeigen, welche rechtlichen Würdigungen in den Jahren um 1963 einer Verurteilung zugrunde gelegt werden durften. Dieses Urteil zeigte auch auf, welche Grenzen das Gericht in Frankfurt beachten musste, um zu der von ihm ausgesprochenen Verurteilung zu kommen. Eine Würdigung der Argumente des Revisionsgerichts hätte auch einem Historiker gezeigt, dass das Gericht nur bei ordentlicher Subsumierung der gefundenen Beweise unter Strafnormen und bei Beachtung der prozessualen Formalitäten vermeiden konnte, dass der gesamte Prozess erneut durchgeführt werden musste.

 

Das Register ist für sämtliche Seitenangaben ab Seite 325 unverwertbar; sämtliche Seitenangaben sind unrichtig.

 

Auf eine abgewogene Studie, welche die rechtlichen und historischen Aspekte des gesamten Verfahrens würdigt, ist trotz der vorliegenden Arbeit noch zu warten.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz