Ossenbühl, Fritz/Cornils, Matthias, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. Beck 2013. XL, 822 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Aus bescheidenen Anfängen heraus hat sich der Staat im Laufe der Geschichte zum wohl wichtigsten Rechtssubjekt der Gegenwart entwickelt. Im Gegensatz zu den anderen Rechtssubjekten verfügt er über die Hoheitsgewalt, mit deren Hilfe er Recht setzen, anwenden und über die Rechtmäßigkeit allen Verhaltens entscheiden kann. Dabei will, kann, darf und muss er auch in die subjektiven Rechte anderer eingreifen, so dass sich seit langem die Frage stellt, ob und wie er aus seinem Handeln entstehende rechtswidrige Folgen unterlassen, beseitigen, ausgleichen oder ersetzen muss.

 

Als bekannteste Einrichtung wurde in diesem Zusammenhang im späten 18. und im 19. Jahrhundert eine Haftung jedes Beamten für eine Verletzung seiner Amtspflichten anerkannt, wobei jede den Dienstvertrag verletzende Handlung des Beamten dem Herrscher bzw. dem Staat nicht zugerechnet werden konnte und deshalb eine private Ersatzpflicht des Beamten auslösen musste. Obwohl seit 1831 vereinzelt eine Ersatzpflicht des Staates durch Gesetz geschaffen wurde, fehlte sie mangels Zuständigkeit des Reichsgesetzgebers für diesen Gegenstand im Bürgerlichen Gesetzbuch des Jahres 1900, das nur in § 839 BGB eine deliktische Ersatzpflicht des Beamten vorsah. Demgegenüber legten Bayern 1899, Preußen 1909 und § 1 des Reichsbeamtenhaftungsgesetzes vom 22. 5. 1910 eine zwar mittelbare, aber primäre Haftung des Staates fest, die durch Art. 131 der Reichsverfassung des Jahres 1919 und durch Art. 34 des Grundgesetzes von 1949 einheitlich vom Beamten auf den Staat übergeleitet wurde und wird.

 

Daran wurden später weitere Anspruchsgrundlagen angeschlossen, mit deren Hilfe der Einzelne schädlichem Verhalten des Staates begegnen kann. Anscheinend seit etwa 1970 hat sich daraus ein eigenes Teilgebiet Staatshaftungsrecht innerhalb des Staatsrechts oder Verfassungsrechts entwickelt (Bender 1971, Scholz 1976). Für dieses legte der 1934 geborene, in Köln ausgebildete, danach in Bonn tätige Fritz Ossenbühl 1976 als Band 15 der Schriftenreihe der Juristischen Schulung einen Band Staatshaftungsrecht im Umfang von 9 und 254 Seiten vor, der 1978 und 1983 erneut aufgelegt wurde und 1991 in der vierten Auflage eine Aufstufung  zum Lehrbuch im Umfang von XXIX und 516 Seiten erfuhr.

 

Die Bedeutung des Sachgebiets wie die Güte der Bearbeitung führten 1991 zu einer fünften Auflage (XXXII, 697 S.), der nunmehr eine notwendig gewordene 6 Auflage in erneut beträchtlich erweitertem Umfang folgt. Für sie hat der Verfasser seinen 1965 geborenen, 1995 mit einer Untersuchung über den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch promovierten, 2004 habilitierten und seit 2009 in Mainz tätigen Schüler Matthias Cornils beigezogen. Nach dem Vorwort haben beide Verfasser an der Überarbeitung aller Teile des Buches mitgewirkt und tragen dafür gleiche und ungeteilte Verantwortung.

 

In den 14 seit der 5.Auflage verstrichenen Jahren wurden viele Rechtsvorschriften geändert, zahlreiche Entscheidungen gefällt und zahllose Erörterungen veröffentlicht. Eine grundlegende Neuorientierung des Staatshaftungsrechts erfolgte allerdings nicht. Deswegen konnten die Verfasser den Grundcharakter ihres Werkes als übersichtliche Darstellung der Strukturen und Probleme des Staatshaftungsrechts beibehalten.

 

Erheblich überarbeitet wurden die eigentumsverfassungsrechtlichen Ansprüche. Neu aufgenommen ist nach Grundlagen und Grundbegriffen, Amtshaftung, Aufopferungsanspruch, Enteignung und ausgleichpflichtige Inhaltsbestimmung des Eigentums, Anspruch wegen rechtswidriger Eigentumsverletzung (enteignungsgleicher Eingriff), enteignendem Eingriff, grundrechtlichem Schutzanspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Herstellung, verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen und Gefährdungshaftung ein zehnter Teil über Sonderfälle verschuldensunabhängiger Staatshaftung.

 

Zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen sind (nach Plangewährleistung, Staatshaftung im Polizeirecht und Ordnungsrecht, öffentlichrechtlichem Erstattungsanspruch) auch besonders berücksichtigt für das Staatshaftungsrecht in den neuen Bundesländern und im unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, für den der Europäische Gerichtshof inzwischen auch Ansprüche bei justiziellem Staatsunrecht, bei dem sich Legislative, Exekutive und Judikative gegen den Bürger verbünden, anerkannt hat. Sehr differenziert legen die Verfasser die konkurrierenden Regeln für die Haftung der Europäischen Union dar. Dabei zeigt sich, dass neben der Suche nach Recht auch immer ein Kampf um Deutungsmacht stattfindet, der Betroffene freilich kaum wirklich zufrieden stellen kann.

 

Ausführlich behandelt der 19. Teil die Reform des Staatshaftungsrechts. Zeitweise kann der Leser den Eindruck gewinnen, als stände sie unmittelbar bevor. Demgegenüber besteht die Realität in der entschiedenen Abwehr des Staates gegenüber neuen Ansprüchen der von ihm verwalteten Bürger, sofern es nicht um Wahlversprechen und Stimmen bei der jeweils nächsten Wahl geht.

 

Abgeschlossen wird das große Werk durch eine Dokumentation. Insgesamt haben die Verfasser eine überzeugende Darstellung des derzeitigen Staatshaftungsrechts vorgelegt. Möge mit ihrer Hilfe der Bürger dem seine Macht ohne übermäßige Bedenken nützenden Staat abgewinnen, was ihm das Recht verheißt.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler