Möhring, Andreas, Richter im Nationalsozialismus. Personalentwicklung und Personalpolitik am OLG Naumburg 1933-1945 (= Hallesche Schriften zum Recht 30). Universitätsverlag, Halle an der Saale 2012. XXVIII. 292 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Darstellungen über die einzelnen Oberlandesgerichte während der NS-Zeit gehören noch immer zu den Seltenheiten der rechtshistorischen Literatur (vgl. hierzu die Monographie von Christof Schiller, Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich, Berlin 1997). Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Möhring in seiner unter Heiner Lück an der Universität Halle-Wittenberg entstandenen Dissertation der Geschichte des Oberlandesgerichts Naumburg zwischen 1933 und 1945 angenommen hat. Ziel der Bearbeitung Möhrings war es darzustellen, „wie sich die Richterschaft am Oberlandesgericht Naumburg im ‚Dritten Reich’ zusammengesetzt hat, welches politische Profil sie besaß und wie sich die personelle Entwicklung“ bis 1945 vollzogen hat (S. 6). Weiterhin wurde untersucht, welche Veränderungen in der Besetzung des Oberlandesgerichts Naumburg es in diesem Zeitraum gegeben hat und wie insgesamt die Personalpolitik zu beurteilen ist. Die Quellenlage ist trotz der Kriegsverluste insgesamt zumindest hinsichtlich der Richter am Oberlandesgericht Naumburg nicht ungünstig, da die wenn auch verstreuten Quellen insgesamt „ein weitestgehend vollständiges Bild der Personalpolitik und personellen Entwicklung des Oberlandesgerichts zwischen 1933 und 1945 ergeben“ (S. 13). Nicht behandelt wird die Spruchtätigkeit des Oberlandesgerichts, da die Urteile nur vereinzelt überliefert sind und die dazugehörigen Verfahrensakten gänzlich fehlen.

 

Im ersten Abschnitt befasst sich Möhring mit der Geschichte des Oberlandesgerichtsbezirks zwischen 1813 und 1945 (S. 17-61). Mit dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 wurden die Appellationsgerichte in Magdeburg, Halberstadt und Naumburg aufgelöst und das Oberlandesgericht Naumburg für die Provinz Sachsen als einziges Obergericht begründet, das bis 1945 auch den Bezirk des Landgerichts Erfurt umfasste. 1943/1944 wurden beim Landgericht Magdeburg zwei auswärtige Senate des Oberlandesgerichts Naumburg errichtet (S. 58ff., 275ff.). Auf Seite 62ff. geht Möhring auf das politische Umfeld im Frühjahr 1933 näher ein (politische Führung des Bezirks und ihr Verhältnis zu den Justizbehörden; wirtschaftliche und soziale Situation der Richterschaft). Präsident des Oberlandesgerichts war zu Beginn der NS-Zeit Georg Werner, der von 1921-1923 Präsident des Oberlandesgerichts Kiel war und zum 4. 4. 1933 aufgrund eines eigenen, von Freisler veranlassten Antrags in den Ruhestand versetzt wurde (S. 76ff.). Werner hatte sich insbesondere hinter den Magdeburger Landgerichtsdirektor Friedrich Weissler gestellt und Kritik an Entscheidungen nachgeordneter Gerichte geübt. Nachfolger wurde Paul Sattelmacher (Autor des weit verbreiteten Referendarlehrbuchs „Berichte, Gutachten und Urteile“) – bisher Vizepräsident des preußischen Justizprüfungsamtes (seit 1927) –, der sein Amt als Oberlandesgerichtspräsident zum 1. 6. 1933 antrat. Sattelmacher, seit 1. 5. 1933 Mitglied der NSDAP, nahm wiederholt Partei für jüdische Juristen und übte wie sein Vorgänger auch Kritik an Entscheidungen unterer Gerichte. Versuche von Einflussnahmen auf die richterliche Unabhängigkeit wies er mehrfach zurück. Sichere Schlüsse auf seine tatsächliche Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime lässt Sattelmachers Verhalten als Oberlandesgerichtspräsident nicht zu. Immerhin war noch 1944 wegen seines schlechten Verhältnisses zur örtlichen Parteileitung und zum Justizministerium seine Versetzung in den Ruhestand erwogen worden (S. 101ff.). Der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Ludwig Becker (1927-1936) schützte wie Sattelmacher die ihm unterstellten Beamten gegen Vorwürfe hinsichtlich ihres Vorgehens gegen Nationalsozialisten (S. 116-123). Sein Nachfolger Hermann Hahn (S. 124-130), ein Mann für „politisch schwierige Bezirke“ (S. 130), dürfte „ohne Einschränkung hinter den nationalsozialistischen Ideologien“ gestanden haben. In einem weiteren Abschnitt befasst sich Möhring mit den Vizepräsidenten und Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts, die sämtlich politisch kaum hervorgetreten sind (S. 131-141). Zwischen Februar 1933 und April 1945 waren 14 Senatspräsidenten am Oberlandesgericht tätig, die Möhring in einer Gesamtdarstellung erfasst (u. a. Altersstruktur, dienstliche Beurteilung, politisches Profil, Mitgliedschaft in der NSDAP und anderen nationalsozialistischen Verbänden, S. 141-160). Es folgt ein Abschnitt über die Richterschaft insgesamt (neben den Präsidenten 28 Oberlandesgerichtsratsstellen) sowie deren Entwicklung bis Kriegsende und im April 1945 (S. 141-192). Im „Fazit“ (S. 192ff.) stellt Möhring fest, dass Versetzungen in den Ruhestand aus rassischen oder politischen Gründen die „absolute Ausnahme“ gewesen seien. Die fachliche Qualifikation des überwiegenden Teils der Richter war nach den Beurteilungen „weit überdurchschnittlich“ (S. 194). Ein eigener Abschnitt ist den auswärtigen Senaten in Magdeburg gewidmet (S. 198-206).

 

Im Abschnitt über „personelle Maßnahmen und ihre Auswirkungen“ (S. 206ff.) geht es vor allem um das Verhalten gegen Richter aus rassischen und politischen Gründen. Nur drei der Oberlandesgerichtsrichter waren (teil-)jüdischer Abstammung (S. 329); sofern Richter mit der NSDAP in Konflikt geraten waren, mussten sie „schlimmstenfalls mit ihrer Versetzung in den Ruhestand rechnen“ (S. 239). Hinsichtlich der veränderten Bedingungen für die Ernennungen und Beförderungen kam es auf die politische Beurteilung der Richter insbesondere durch die NSDAP an (S. 240). Insgesamt war die Personalpolitik trotz der Veränderungen durch „eine starke Kontinuität“ gekennzeichnet (S. 262). In der Schlussbetrachtung stellt Möhring fest, dass ein erheblicher Teil der Richterschaft des Oberlandesgerichts insbesondere in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft „eine gewisse Distanz zu den neuen Machthabern und ihren Ideologien habe wahren“ können (S. 268) und die richterliche Unabhängigkeit soweit wie möglich verteidigen wollen. Andererseits habe die Richterschaft Maßnahmen und Gesetze der nationalsozialistischen Zeit „ohne nennenswerte Kritik“ umgesetzt (S. 268f.).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit einer Besetzungsliste des Oberlandesgerichts zwischen 1933 und 1945 (leider ohne die Zugehörigkeit der jeweiligen Richter zum Oberlandesgericht zu kennzeichnen). Ein Personenregister wäre hilfreich gewesen. Auch wenn Möhring die mitunter breite Darstellung auf die Richterschaft des Oberlandesgerichts ausdrücklich beschränkt hat, wäre ein Exkurs – ähnlich wie für die Generalstaatsanwälte – auch für beim Oberlandesgericht Naumburg zugelassenen Rechtsanwälte und für die Besetzung der Sondergerichte des Oberlandesgerichtsbezirks durch den Oberlandesgerichtspräsidenten spätestens seit 1940 aufschlussreich gewesen. Hingewiesen sei darauf, dass von Sattelmacher autobiographische Arbeiten aus der Zeit vom April-Oktober 1945 vorliegen (S. 92), über deren quellenhistorischen Wert der Leser detailliertere Angaben vermisst. Ferner sei darauf aufmerksam gemacht, dass von Sattelmacher zwei für das Reichsjustizministerium um 1942 erstattete Gutachten über die „Persönlichkeit des Richters“ und die juristische Ausbildung bestehen (wiedergegeben bei W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht, Protokolle der Ausschüsse, Bd. VI, 1997, S. 827ff., 834ff.). Insgesamt liegt mit den Untersuchungen Möhrings über wichtige Aspekte der Justizgeschichte unter dem Nationalsozialismus für das Oberlandesgericht Naumburg eine wichtige Untersuchung vor, die für die meisten Oberlandesgerichtsbezirke noch aussteht.

 

Kiel

Werner Schubert