Michels, Eckard, Guillaume, der Spion. Eine deutsch-deutsche Karriere. Ch. Links Verlag, Berlin 2013. 414 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Außer an sich selbst ist der Mensch vielleicht am meisten an den Gedanken, Äußerungen und Handlungen anderer Menschen interessiert, die für sein Wohlergehen von Bedeutung sein können. Deswegen wollen Politiker zu allen Zeiten mit vielen Mitteln die Welt anderer Politiker auskundschaften, um ihr eigenes Handeln möglichst erfolgreich zu gestalten. Aus dieser Interessenlage heraus hat sich die Spionage entwickelt, an deren Geheimhaltung Spion und Auftraggeber besonders interessiert sind, während ihre nicht immer gelingende Aufdeckung trotz aller damit verbundenen Überraschung meist als Erfolg des Opfers angesehen wird.

 

Ein besonders bekanntes Beispiel der jüngeren deutschen Geschichte arbeitet der an der Birkbeck University of London im Department of European Cultures ande Languages tätige Verfasser sorgfältig und überzeugend auf. Er ist erstmals 1992 mit einer als Dissertation in Hamburg angenommenen Untersuchung über das Deutsche Institut in Paris in den Jahren 1940-1944 hervorgetreten, die sich mit der Kulturpolitik des Dritten Reiches in feindlicher besetzter Umgebung befasste. Danach hat er weitere spannende Themen wie den Weg der Deutschen Akademie zum Goethe-Institut (1923-1960), Deutsche in der Fremdenlegion (1870-1965) oder Paul von Lettow-Vorbeck als preußischer Kolonialoffizier in Deutsch-Ostafrika behandelt.

 

Für den in Berlin am 1. Februar 1927 als Sohn eines Musikers geborenen, als persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willi Brandt von 1972 bis 1974 (Rücktritt Brandts am 6. Mai 1974) tätigen, in Eggersdorf am 10. April 1995 als Günter Bröhl gestorbenen Offizier der Deutschen Demokratischen Republik im besonderen Einsatz wertet der Verfasser alle noch greifbaren Unterlagen aus und bettet sie umsichtig in die allgemeinere Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen ein. Der nach kurzem Einsatz als Flakhelfer mit Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zunächst ohne jegliche Lehre als Fotograf und seit 1950 als Redakteur im Volk und Wissen Verlag in Ost-Berlin tätige, 1952 in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands eingetretene, vom Ministerium für Staatssicherheit angewerobene und planmäßig für Spionage ausgebildete Guillaume siedelte 1956 mit seiner als Sekretärin tätigen, kurzfristig geschulten Ehefrau Christel (Boom) 1956 nach Frankfurt am Main über, arbeitete zunächst als Bildreporter, trat im Frühjahr 1957 in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein, wurde 1964 hauptamtlicher Geschäftsführer des Unterbezirks Frankfurt am Main und nach erfolgreichem Einsatz für Bundesverkehrsminister Georg Leber über Herbert Ehrenberg, Horst Ehmke und Holger Börner 1972 Vertrauter des Bundeskanzlers (Vergütungsgruppe Ia, vergleichbar mit Regierungsdirektor). Im Ergebnis konnte der sich allmählich in gewisser Weise von seinem Auftraggeber zu Gunsten der SPD lösende, mit Hilfe entschlüsselter Geburtstagstelegramme enttarnte, in Bonn am 24. April 1974 unter Spionageverdacht verhaftete, im Dezember 1975 wegen Landesverrats zu 13 Jahren Haft verurteilte, nach Scheidung von seiner ersten Ehefrau den Namen seiner zweiten Ehefrau annehmende, 1981 in die Deutsche Demokratische Republik zurückkehrende und dort mit der Ehrendoktorwürde der Rechtswissenschaft ausgezeichnete Guillaume trotz sorgfältiger Ausbildung keine besonders bedeutenden Geheimnisse erkennen und verraten, so dass seine Enttarnung zwar äußerlich den Anlass für Brandts Rücktritt bot, der von im bewirkte Geheimnisverlust der Bundesrepublik bzw. Erkenntnisgewinn der Deutschen Demokratischen Republik diesen Schritt aber kaum inhaltlich rechtfertigte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler