Mauss, Susanne, Nicht zugelassen. Die jüdischen Rechtsanwälte im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf 1933-1945. Klartext, Essen 2013. 593 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit dem vorliegenden Werk dokumentiert die Historikerin Susanne Mauss, die u. a. den Regionalteil der Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ für den Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf im Mai 2011 zusammengestellt hat, das Schicksal von 199 Juristen aus dem OLG-Bezirk Düsseldorf während der nationalsozialistisch beherrschten Zeit (von 156 im OLG-Bezirk Düsseldorf zugelassenen Anwälten [davon zwei Rechtsanwältinnen], von sieben in anderen Berufen tätigen ehemaligen Rechtsanwälten, von 30 ausgewählten Referendaren, vier Gerichtsassessoren und zwei Jurastudenten, deren Lebenslauf „exemplarisch in die Zeit der nationalsozialistischen Rassenpolitik in der Justiz verdeutlicht“, S. 11). Der Anteil der jüdischen Rechtsanwälte belief sich auf 18% aller im OLG zugelassenen Anwälte. 45 Rechtsanwälte sind als „Opfer der Anfang 1942 geplanten sog. Endlösung“ anzusehen (S. 12). Nach Wiedergabe der für den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft maßgebenden Gesetzestexte geht Mauss auf den OLG-Bezirk Düsseldorf mit seinen sechs Landgerichten (Düsseldorf, Duisburg, Kleve, Krefeld, Mönchengladbach und Wuppertal) ein (S. 15-49). Ende 1933 war noch die knappe Hälfte der jüdischen Rechtsanwälte des Düsseldorfer OLG-Bezirks zur Anwaltschaft zugelassen (S. 24), die spätestens aufgrund der 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. 9. 1938 bis Ende November 1938 aus der Rechtsanwaltschaft entlassen wurden (S. 16, 32ff.). Einige von ihnen waren anschließend noch als sog. Rechtskonsulenten tätig.

 

Im biographischen Teil (S. 51-545) gewähren zahlreiche im Original wiedergegebene Dokumente einen detaillierten Einblick in die Verfolgung der jüdischen Rechtsanwälte. Auszüge aus den Entnazifizierungsverfahren belegen die oft sehr restriktive Handhabung der Restitutions- und Schadensersatzpraxis nach 1945. Von den 1933 entlassenen Referendaren sei hingewiesen auf Ossip K. Flechtheim und Hans-Hermann (John H.) Herz, die beide nach 1945 anerkannte Politikwissenschaftler waren, Flechtheim in Berlin an der Freien Universität und Herz am City College in New York (S. 148ff., 198ff.). Josef Neuberger, bis1933 „Hausanwalt“ der Düsseldorfer SPD (S. 396) kehrte 1952 endgültig aus Israel nach Deutschland zurück und war von 1966 bis 1972 Justizminister von Nordrhein-Westfalen (S. 394 ff.). Hans (Henri) Motulski, bis 1933 Referendar im OLG-Bezirk Düsseldorf, arbeitete nach seiner Emigration nach Paris zunächst bei einem Anwalt am Pariser Kassationshof und wurde 1951 nach seiner Promotion in Paris als Anwalt zugelassen. Von 1959-1969 war er als Professor, zuletzt in Nanterre, tätig; er beeinflusste maßgebend die Konzeption des Code de prodédure civile von 1975 (S. 385ff.). Werner Marx, promovierter Jurist, 1933 wohl aus dem Assessorendienst entlassen, emigrierte nach Palästina und anschließend in die USA. 1949 beendete er sein Studium der Philosophie bei Karl Löwith in Heidelberg und übernahm nach seiner Habilitation in Freiburg 1964 den ehemaligen Lehrstuhl von Heidegger (S. 360ff.). Der ehemalige OLG-Anwalt Hans Menachem Wedell lehnte eine Einstellung als Senatspräsident am OLG Düsseldorf ab (statt dessen Tätigkeit bei der evangelischen Kirche im Rheinland). Leo Zuckermann, 1933 als Referendar entlassen, emigrierte bereits 1933 über Frankreich nach Mexiko und kam nach 1945 in die sowjetische Besatzungszone; er bekleidete in der DDR hohe Posten, verließ jedoch 1952 die DDR in Richtung Westberlin (S. 542). Hingewiesen sei noch auf Victor Loewenwarter, der als „Repetitor des Deutschen Reiches“ galt (S. 346), auf Arthur Wolff, dem eine Stelle in der Justiz Nordrhein-Westfalens versagt blieb und der sich dann als Rechtsanwalt in Düsseldorf wieder niederließ, und auf den ehemaligen Referendar Jacob Zuckermann, der seit 1946 bei der UNESCO in Paris beschäftigt war (Aufgabengebiet u.a.: Verschaffung von Büchern für Bibliotheken, die im Laufe des Weltkrieges ihre Sammlungen verloren hatten, S. 542). Das Werk wird abgeschlossen mit einem Literaturverzeichnis und Namensregister. Als einziges wäre zu wünschen gewesen, wenn Mauss bei den für hierfür in Betracht kommenden Juristen auf ihr wissenschaftlich-schriftstellerisches Werk etwas ausführlicher eingegangen wäre (z.B. in welcher Richtung hat Motulski das französische Zivilprozessrecht beeinflusst?). Mit ihrem Werk hat Mauss die Lebenswelt der jüdischen Rechtsanwälte und Juristen aus dem OLG-Bezirk Düsseldorf in der NS-Zeit und der Nachkriegszeit detailliert erschlossen und zugleich verdeutlicht, welchen spürbaren „Verlust an intellektueller Größe, sprachlicher Brillanz und menschlicher Vielfalt“ (Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht, 2. Aufl., Berlin 2007, S. 19), Deutschland mit der Vertreibung und Ausgrenzung der jüdischen Rechtsanwälte erlitten hat.

 

Kiel

Werner Schubert