Ludyga, Hannes, Das Oberlandesgericht München zwischen 1933 und 1945, hg. im Auftrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts München. Metropol, Berlin 2012. 304 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Untersuchungen Ludygas stellen einen Beitrag dar zur Diskussion über die „Einschätzung der Tätigkeiten von Oberlandesgerichten zwischen 1933 und 1945“ (S. 18), deren Präsidenten „wegen ihres Einflusses auf die personelle und institutionelle Entwicklung“ des jeweiligen Oberlandesgerichts und des gesamten Gerichtsbezirks eine „besondere Bedeutung“ zukam (S. 16). Nach einer kurzen Geschichte des Oberlandesgerichts München bis 1933 (S. 24ff.; Errichtung des Oberlandesgerichts 1879 im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze) geht Ludyga zunächst auf die Agitationen gegen jüdische Richter im März/April 1933 und auf die Entlassung jüdischer Oberlandesgerichtsrichter aufgrund des Berufsbeamtengesetzes vom 7. 4. 1933 ein (S. 45ff.). In diesem Zusammenhang fehlen nähere Hinweise auf Entlassungen von bei dem Oberlandesgericht München zugelassenen Rechtsanwälten. Im Abschnitt über die Organisation der bayerischen Justiz im Nationalsozialismus behandelt Ludyga die Aufhebung des Bayerischen Obersten Landesgerichts 1934 (S. 72ff.). Im Abschnitt über „widerständiges Verhalten am Oberlandesgericht München“ (S. 79ff.) befasst sich Ludyga vertieft mit dem Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht und späteren Oberlandesgerichtsratat J. D. Sauerländer, der 1934 auf Bitten des Präsidenten des Obersten Landesgerichts Müller den Entwurf zu einem Plenarbeschluss ausarbeitete, in dem das Gesetz vom 3. 7. 1934 (Legalisierung der Morde im Zusammenhang mit dem sog. Röhm-Putsch) als „rechtswidrig und ungültig“ bezeichnet werden sollte (S. 82). Ausführlich behandelt Ludyga die Oberlandesgerichtspräsidenten Alexander Gerber (1931 bis Ende August 1933), Georg Neithardt (1933-1937), Alfred Dürr (1937-1943) und den von Thierack als Oberlandesgerichtspräsidenten eingesetzten Walter Sepp (1943-1945). Inwieweit Gerber, der von den Nationalsozialisten zum 1. 9. 1933 vorzeitig in den Ruhestand versetzt wurde, sich gegen Maßnahmen der nationalsozialistischen Anfangszeit gewandt hat, ist wegen Fehlens des Schriftwechsels mit dem Justizminister Frank nicht mehr feststellbar. Neithardt, der wohl nicht die „entsprechende juristische Qualifikation“ zur Erlangung einer Spitzenposition besessen haben dürfte (S. 92), verdankte seine Ernennung als Oberlandesgerichtspräsident wohl primär der Tatsache, dass er als Vorsitzender des Münchner Volksgerichts 1924 Hitler zu einer nur milden Strafe verurteilt hatte (S. 92; zu den Beiträgen Neithardts im Familienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht W. Schubert, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III, 2, Berlin 1989, bes. S. 83ff., 253ff.). Die Persönlichkeit seines Nachfolgers Alfred Dürr (Schwager des Reichsjustizministers Gürtner; Mitglied der Strafrechtskommissionen des Reichsjustizministeriums [hierzu die Materialien bei J. Regge/W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abt., Bd. 2, 1-3, 1988 ff.], der sich wohl sehr regimetreu verhalten haben dürfte), lässt sich wegen der lückenhaften Überlieferung seines Schriftwechsels nicht vollständig erfassen. Vielleicht könnte eine detaillierte Auswertung der Lageberichte Dürrs aus der Kriegszeit an das Reichsjustizministerium weitere Aufschlüsse bringen.

 

Der letzte OLG-Präsident der NS-Zeit, Walter Sepp (Mitglied der NSDAP ab 1930), war zwischen 1935 und 1937 stellvertretender Leiter und später Leiter der Bayerischen Politischen Polizei; er dürfte erheblich stärker Einfluss im nationalsozialistischen Sinne auf das Oberlandesgericht genommen haben als seine Vorgänger. Nach einem kurzen Abschnitt über die Lenkung der Rechtsprechung (S. 130ff.) und das Justizprüfungsamt am Oberlandesgericht München (S. 135ff.) bringt Ludyga in dem Schlussabschnitt einen umfangreichen Überblick über die Judikatur des Oberlandesgerichts München zwischen 1933 und 1945 (S. 141-263). Dabei war nur für die Judikatur des Gesundheitsober- und Erbhofgerichts am Oberlandesgericht und partiell des Oberlandesgerichts München in Hochverrats- und Landesverratssachen sowie in Fällen der Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung ein hinreichend aussagekräftiger Überblick möglich. Die Zivil- und Strafrechtspraxis ist mit Ausnahme der Miet- und Pachtschutzsachen, für die ein Senatspräsident eine Sammlung herausgegeben hat, nur anhand der Urteilsveröffentlichungen insbesondere in der Juristischen Wochenschrift und der Deutschen Justiz partiell zu erschließen. Auch wenn ein „Schluss von Einzelfällen auf das Ganze“ nicht zulässig sei, bringt die Analyse von einzelnen Entscheidungen gleichwohl einen „nachhaltigen Einblick in das von dem Gericht ausgehende Unrecht“ (S. 13). Hingewiesen sei auf die Auflösung einer „Mischehe“ nach § 37 EheG wegen Irrtums über die Tragweite der „Fremdrassigkeit“ des Ehepartners (S. 159ff.). Die testamentarische Einsetzung eines Juden durch eine „Erblasserin“ wurde 1937 für sittenwidrig angesehen (S. 161ff.). Entgegen der Auffassung von Kommentierungen zur „deutschen Rassengesetzgebung“ (W. Stuckart/H. Globke) von 1935 hatte sich nach Ansicht des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts München eine jüdische Frau strafbar gemacht, die in ihrem Haushalt eine „deutsche Staatsangehörige arischer Abstammung“ als „Haushaltsgehilfin“ beschäftigte, die täglich das Frühstück in das an einen Juden vermietete möblierte Zimmer brachte (S. 166ff.; JW 1937, 762). Das Werk wird abgeschlossen mit einem „Ausblick“ über das Oberlandesgericht München nach 1945 (S. 264ff.) und einem Personenregister. Nützlich wäre eine Übersicht über die vor und nach 1945/1946 am Oberlandesgericht beschäftigten Richter gewesen, über die z. T. nur in den Fußnoten Details enthalten sind.

 

Insgesamt liegt mit dem Werk von Ludyga eine Untersuchung vor, welche die Kenntnisse über die Justizverwaltung und die Straf- und Zivilrechtsjudikatur im Nationalsozialismus erheblich erweitert (vgl. S. 13).

 

Kiel

Werner Schubert