Lilla, Joachim, Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920 bis 1933/34. Zusammensetzung -Dokumentation - Biographien, unter Einschluss des Wirtschaftsbeirats des Reichspräsidenten 1931 und des Generalrats der Wirtschaft 1933 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 17). Droste, Düsseldorf 2012. 579 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat wurde aufgrund Art. 165 der Weimarer Verfassung durch eine vom Reichsrat und vom volkswirtschaftlichen Ausschuss der Weimarer Nationalversammlung gebilligte Verordnung vom 4. 5. 1920 begründet. Er umfasste 326 Mitglieder (Vertreter der Wirtschaft, des Handels, der Banken sowie des Versicherungswesens, des Verkehrs, der Verbraucherwirtschaft sowie der Beamtenschaft und je 12 vom Reichsrat und von der Reichsregierung entsandte Personen) und hatte als „Vertreter der wirtschaftlichen Interessen des ganzen Volkes“ „sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung“ zu begutachten und zu wirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen Stellung zu nehmen (vgl. Art. 5, 11, 12 der Verordnung vom 4. 5. 1920). Im vorliegenden Band behandelt Lilla in einer breiten Einleitung (S. 11-135) die Vorläufer des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats (u. a. preußischer Volkswirtschaftsrat), die Vorgeschichte und Entstehung der genannten Verordnung vom 4. 5. 1920, die zur Installierung des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats führte, die Mitglieder und Gremien des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats sowie die parlamentarischen Verhandlungen zum Gesetz über den (endgültigen) Reichswirtschaftsrat, das nach langwierigen und schwierigen Beratungen – Hauptproblem war die Zusammensetzung des Reichswirtschaftsrats – vom Reichstag wegen Fehlens der verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit am 14. 7. 1930 abgelehnt wurde. Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat wurde durch Gesetz vom 23. 3. 1934 aufgehoben. S. 127ff. weist Lilla auf vergleichbare Gremien in Ungarn und Österreich sowie auf „Nachwirkungen“ hin (Bayerischer Senat von 1947-1999; Scheitern der Pläne des Bundes für einen Bundeswirtschaftsrat, S. 133f.).

 

Bis 1923 fanden im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat auch Vollversammlungen, über die gedruckte Protokolle existieren (hg. mit den Drucksachen v. Werner Schubert, Protokolle über die Plenarverhandlungen des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats, Bd. 1-3, 1987; Hinweis auf die Beratungsgegenstände bis 1923 bei Lilla, S. 33f.) statt. Ab Mitte 1923 wurden aus Ersparnisgründen nur noch Ausschusssitzungen durchgeführt, die noch im Januar 1933 abgehalten wurden. Als Anhang bringt der Band die maßgebenden Rechtsgrundlagen für den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat einschließlich der Geschäftsordnungen und eine Synopse der Entwürfe eines Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat und eines Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat (1926-1930; S. 211ff.). Im Kernstück des Bandes „Biographische Dokumentation der Mitglieder des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats 1920 bis 1933, des Wirtschaftsbeirats 1931 und des Generalrats der Wirtschaft 1933 (S. 303-359) hat Lilla alle wichtigen Daten über die Mitglieder des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats und der weiteren genannten Gremien in 579 Biographien zusammengestellt (S. 303-359; S. 297ff. Zusammenstellung der Mitglieder des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats, die Opfer nationalsozialistischer Repression und Verfolgung waren). Die für die Benennung der Mitglieder des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats vorschlagsberechtigten Organisationen und Körperschaften hat Lilla S. 67ff. mit einem kurzen Abriss ihrer Geschichte zusammengestellt. Nach der Zielsetzung des Bandes war eine „auch nur im Ansatz eingehendere Würdigung“ der Tätigkeit des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats „im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich“ (S. 5): „Hier harren“, so Lilla S. 5, „noch zahlreiche wirtschafts-, sozial- und verfassungsgeschichtliche Themen der Bearbeitung, und das angesichts einer sehr breiten und nahezu vollständigen archivalischen Schriftgutüberlieferung“ (im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde). Es wäre zur Anregung weiterer Arbeiten über den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat nützlich gewesen, wenn Lilla die wichtigsten Beratungsgegenstände auch für die Zeit ab 1924 nachgewiesen hätte (vgl. hierzu Harry Hauschild, Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat 1920-1926. Denkschrift, Berlin 1926, und Büro des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats [Hrsg.], Der Vorläufige Reichswirtschaftsrat 1927-1932, Berlin 1933; für das Aktienrecht liegt vor W. Schubert/P. Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik. Die Protokolle der Verhandlungen im Aktienrechtsausschuss des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats unter dem Vorsitz von Max Hachenburg, Berlin 1987). Insgesamt steht mit dem Band von Lilla über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat ein wichtiges Arbeitsinstrument zur allgemeinen Verfügung, das bei künftigen Arbeiten über wirtschaftspolitische Gesetzesvorlagen der Reichsregierung und über Gutachten zu volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen herangezogen werden sollte.

 

Kiel

Werner Schubert