Krings,
Sylvia, Die Vorgeschichte des Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter im
Mietrecht (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 72). Mohr
(Siebeck), Tübingen 2013. XIV, 195 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Dem
römischen Aktionensystem ist vielfach vorgehalten worden, dass es nur dort dem
Kläger zu Erfolg verhalf, wo eine actio bestand. Dass aber auch nach
Überwindung des starren Aktionensystems einem Geschädigten ein Ausgleich
versagt bleiben und erst nach einem korrigierenden Eingriff eines dazu
Berechtigten gewährt werden konnte, zeigt die vorliegende, in einer
dreijährigen Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
neuere Privatrechtsgeschichte, deutsche und rheinische Rechtsgeschichte der
Universität Köln entstandene, von Hans-Peter Haferkamp betreute, im
Wintersemester 2011/2012 von der juristischen Fakultät der Universität
angenommene Dissertation.
Am 5.
Oktober 1917 hatte das Reichsgericht - nach der Verfasserin nicht zum ersten
Mal - über einen Schadensersatzanspruch eines Familienangehörigen eines Mieters
gegen den Vermieter zu entscheiden. Die Tochter eines Angestellten der
Reichsbahn war einige Monate nach Einzug in der zur Verfügung gestellten
Dienstwohnung an Tuberkulose erkrankt, an der die Vormieterin unstreitig
gelitten hatte. Da die Reichsbahn die Räume bei dem Mieterwechsel sorgfältig
hatte desinfizieren lassen und damit ein deliktischer Schadensersatzanspruch
der Erkrankten ausschied, sprach ihr das Reichsgericht einen
Schadensersatzanspruch auf der Grundlage des zwischen der Reichsbahn und dem
Vater geschlossenen Mietvertrags zu, weil dem Mieter einer Familienwohnung die
für den Vermieter erkennbare Absicht unterstellt werden müsse, bei dem
Abschluss des Mietvertrags auch die Interessen der mit ihm zusammenlebenden
Angehörigen wahrzunehmen und zu diesem Zweck ihnen hinsichtlich der
gefahrenfreien Beschaffenheit der Wohnräume dieselben Rechte gegen den
Vermieter zu verschaffen, die ihm selbst zustehen (RGZ 91 [1917] 21ff., so in
Anm. 1 der Verfasserin, RGT 91 [1918] 21ff., so auf S. 191 der Verfasserin).
Auf der
Grundlage dieser zur Vermeidung eines unbilligen Ergebnisses getroffenen
Entscheidung wertet die Verfasserin erfreulicherweise insgesamt 73
Entscheidungen zu mangelbedingten Entscheidungen (in Mietfällen) aus und
beginnt dabei mit einer in ihrem Datum unbekannten Entscheidung des
Oberappellationsgerichts Dresden, die im Wochenblatt für merkwürdige
Rechtsfälle 7 (1847), Nr. 73, S. 233ff. veröffentlicht worden war. Dabei kann
sie zeigen, dass bereits vor der Reichsgerichtentscheidung im Mietrecht
ähnliche Probleme erkannt worden waren und schon 1858 eine Ehefrau über dien
Vertragsanspruch ihres Ehemanns einen Ersatz von Heilungskosten erlangt hätte,
wenn dem Vermieter ein Verschulden nachgewiesen worden wäre. Zwar kann auch die
Verfasserin die tatsächlichen Beweggründe des Reichsgerichts, „die
Schutzwirkung für Angehörige im Jahre 1917 auf dogmatische Füße zu stellen“, nicht
wirklich ermitteln, doch bezeichnet sie im Gegensatz zu den Zeitgenossen die
Veränderung überzeugend als sozial.
Innsbruck Gerhard Köbler