Kejř, Jiří, Die mittelalterlichen Städte in den böhmischen Ländern. Gründung - Verfassung - Entwicklung (= Städteforschung, Reihe A Darstellungen 78). Böhlau, Köln 2010. XIII, 450 S. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Jiří Kejř, der Nestor der böhmischen Rechtsgeschichte und Städteforschung, legt in deutscher Übersetzung seine 1998 in Prag erschienene Studie zur Stadtverfassung vor. Václav Bok und seine verstorbene Gattin Hildegard Boková, Mittelalter-Germanisten der Universität Budweis, haben die Übersetzung sorgfältig und sachkundig betreut. Kejř hat sich den Vorarbeiten schon zu einer Zeit gewidmet, als es in seinem Lande nicht opportun war, nichtslawischen Wurzeln der Landesgeschichte nachzugehen. Andererseits hat er sich bei den Nachbarn im Westen nicht beliebt gemacht, weil er nichtdeutschen Einflüssen auf die Stadtentwicklung die ihnen zukommende Bedeutung gegeben hat. Gegenüber der sich in den 60er Jahren kräftig entwickelnden Mittelalterarchäologie wies Kejř unermüdlich darauf hin, dass diese Befunde nur bei einer sorgfältigen rechtshistorischen Begleitung die ihnen angemessene Stellung erhalten könnten.

 

Als Gebiet seiner Forschungen umschreibt er Böhmen, Mähren, Österreichisch Schlesien, Grafschaft Glatz und die Ober- und Niederlausitz, damit die Böhmischen Kronländer, ,Corona Bohemiae’.

 

Die in zehn Abschnitte gegliederte Untersuchung wird eingeleitet durch einen Überblick über den Forschungsgegenstand, die Stadt als Institution in der Zeit der Přemyslidenkönige. Ausführlich widmet sich der Verfasser der Terminologie zur Bezeichnung der verschiedenen Typen der Siedlungen und dann den verschiedenen Personenbezeichnungen. Interessant ist der Hinweis bei der Verwendung deutscher Bezeichnungen in Urkunden. Wenn der Aussteller keine entsprechende lateinische Bezeichnung finden konnte, beließ er es lieber bei der deutschsprachigen Bezeichnung. Ähnlich gingen die Aussteller vor, wenn sie bei der Abfassung von Urkunden mit römisch-kanonischen Inhalten, für die sie lateinische Ausdrücke verwandten, zur Klarstellung Ausdrücke der tschechischen Volkssprache verwandten. Die Arbeit nutzt ausführlich den Bestand der in Urkundensammlungen veröffentlichten Urkunden. Im anschließenden Abschnitt zum Gründungsakt der Städte zeigt der Verfasser den unterschiedlichen Weg zu einer neuen Stadt: einmal durch Erhebung einer bestehenden Siedlung zur Stadt und andererseits die Neugründung auf königlichem Boden. Beachtenswert ist die geringe Zahl der überlieferten Gründungsprivilegien. Der Verfasser zeigt, dass königliche Städte als Korporation keine Privilegien erhielten. Die Ausführungen zum Stadtrecht der neuen Siedlungen sind auch für andere Untersuchungen zum Stadtrecht beachtenswert. Im Vordergrund stehen die Regelungen über die Kompetenz der städtischen Organe. Anhand zahlreicher einzelner Betrachtungen zeigt der Verfasser die Übertragung Brünner, Prager und Iglauer Rechts auf Städte. Sorgfältig ist belegt, dass eine Übernahme Nürnberger Rechts nach Böhmen nicht in der Form belegbar ist, wie dies bislang in deutscher älterer Forschungsliteratur vermutet wurde. In verschiedenen Städten, gerade in Nordmähren, ist das Magdeburger Recht im 14. Jahrhundert eingeführt worden

 

Um eine Stadtgründung erfolgreich werden zu lassen, war den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten große Aufmerksamkeit zu widmen. Der Verfasser zeigt, wie durch Ansiedlung von Handwerkern und Förderung der städtischen Wirtschaft eine Grundlage zu einem Erfolg einer Stadt gelegt werden musste. Rechtliche Regelungen wie das Stapelrecht, das Bannmeilenrecht und der Straßenzwang, dienten der Lenkung des Güterverkehrs zum Nutzen der Städte. An Einzelbeispielen zeigt der Verfasser die Bedeutung von Tavernen und Braustätten für die Entwicklung der Siedlungen. Wurde das Bannmeilenrecht Städten unterschiedlicher Größe gegeben, so wurde das Stapelrecht auf besondere Städte begrenzt. Entscheidend war etwa die Lage an Grenzübergängen oder an Kreuzungen bedeutender Verkehrswege. Der Erwerb von Landgütern durch Stadtbürger benachbarter Städte führte nicht selten zu Streitigkeiten, die einer landesherrlichen Schlichtung bedurften. Hieraus entwickelten sich dann für die Folgezeit Regelungen, die auch an anderen Orten beachtet wurden.

 

Zu der strittigen Frage des Verhältnisses der Märkte zu Städten vertritt der Verfasser die vermittelnde Ansicht, dass die Märkte in der Zeit der Städtegründungen bereits eine eingebürgerte Institution sind, jedoch kein selbstverständlicher Impuls für die Entwicklung der Siedlungseinheit zur Stadt. Zu einem Markt mussten immer weitere Faktoren hinzukommen, beispielhaft wird auf die Größe des Marktes und das bestehende Hinterland als Einzugsgebiet für die Siedlung hingewiesen. Für das Untersuchungsgebiet lässt sich keine lineare Entwicklung vom Markt zur Stadt nachzeichnen. Im Zusammenhang mit Märkten standen oft Kirchen, in denen auch zeitweise Handel getrieben wurde. Gegenüber den Verhältnissen und der Bedeutung von Kaufmannskirchen im Ostseeraum zeigt der Verfasser die geringere Bedeutung im Untersuchungsgebiet auf.

 

Der Abschnitt zur Verwaltung der Stadt arbeitet das Verhältnis der Richter zur städtischen Verwaltung heraus. Scultetus, advocatus und iudex werden einer Untersuchung ihres Vorkommens und der ihnen zugelegten Befugnisse unterzogen. Hierbei stellt der Verfasser fest, dass zwar zur Ratsverfassung zahlreicher Städte Untersuchungen vorliegen, jedoch die Aufgaben und Abgrenzungen zwischen den Amtsträgern nur selten aus den Archivalien in Einzelstudien erforscht sind. Das geringe Material erlaubt es nicht, für eine größere Zahl von Städten die Bedeutung des Richteramtes für die Stadtentwicklung zu beschreiben. Ein selten beachteter Aspekt ist der Zusammenhang zwischen Richter und Lokator. Der Lokator hatte bei einer Neugründung nicht unerhebliche Finanzmittel zu stellen, um die Siedlung attraktiv zu machen. Hierfür wurde er dann mit dem Richteramt betraut, das ihm erlaubte erhebliche Einnahmen zu erzielen. Weitere Einnahmen zog er aus Tavernen, Mühlen und Fleischbänken. In ältester Zeit sind die städtischen Amtsträger scabini, iurati und consules in ihren Aufgaben wenig differenziert. Die Entwicklung der Aufgaben des Bürgermeisters und des Stadtschreibers werden, soweit dies die Quellen erlauben, dargestellt. Für die Rechtsakte in den Städten bildete sich in dieser Zeit das Stadtbuch heraus. Sein Inhalt und seine Funktion als wesentliche städtische Dokumentationsquelle werden herausgearbeitet. Da nur aus Iglau und Prag in der Untersuchungszeit Stadtbücher belegt sind, verbieten sich weitreichende Aussagen. Gerade in diesem Abschnitt zeigt der Verfasser, dass oft die schmale Quellenbasis vor verallgemeinernden Schlüssen warnen sollte.

 

Im Abschnitt über das Gericht legt der Verfasser die Bedeutung des Stadtfriedens für die städtische Entwicklung dar. Das Beweisrecht erlaubt eine Ablösung des Gottesurteils im gerichtlichen Verfahren. Bemerkenswert ist, dass die Privilegien für Städte oft strafrechtliche Regelungen treffen, jedoch nur in wenigen Fällen zivilrechtliche Probleme behandeln.

 

Ein Abschnitt behandelt das Verhältnis der Bettelorden zu den Städten, insbesondere der Minoriten und der Dominikaner. Diese Orden ließen sich meist in Städten nieder, damit kann eine Ordensniederlassung als ein Anhaltspunkt für den Übergang einer Siedlung zu einer Stadt angesehen werden. Diese Beobachtung gilt jedoch nicht für den böhmischen Staat. Hier sind Klöster schon in Ortschaften nachweisbar, in denen eine Stadtverfassung nicht bezeugt ist. Bei den Ansiedlungen in den Städten unterschieden sich die Minoriten von den Dominikanern. Die Minoriten siedelten ihre Konvente in den Vierteln der Ärmsten in den Vorstädten an; die Dominikaner suchten Stellen mit dichterer Besiedlung in den Städten auf. In den Klöstern wurden nicht selten Rechtshandlungen beurkundet, bei denen auf mindestens einer Seite eine kirchliche Institution stand.

 

Der abschließende Abschnitt gilt dem Bürgertum. Die Bürger erlangten mit Aufnahme in die Stadtgemeinde die Freiheit von anderen Bindungen. Diese Entwicklung ging nicht durch revolutionäre Einzelaktionen, wie es die Geschichtsschreibung gern darstellen wollte, sondern durch eine langsame Evolution im Rahmen der Macht des jeweiligen Stadtherren vor sich. Der Grundherr begrenzte seine Macht durch Verleihung von Freiheiten an Städte und Bürger. Hierdurch sollte die wirtschaftliche Aktivität und Leistungsfähigkeit gestärkt werden. Werden einer Stadt iura et libertates erteilt, so ist dies nicht eine Floskel, sondern die Stadt wird in ihrer Rechtsstellung in ihren positiven Berechtigungen unter Entbindung von Pflichten und Zahlungen erfasst. Die Redensart „Stadtluft macht frei“ erweist der Verfasser, der wohl gültigen Überzeugung folgend, als eine Überlegung aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Neubewohner von Städten wurden erst als Grundbesitzer Vollbürger, jedoch war schon die Beteiligung an der Stadtfreiheit für Bewohner aus dem Umland oder aus anderen Gegenden ein erstrebenswerter Status. Die Städtegründer hatten an einer wachsenden Zahl der Einwohner ein Interesse, so dass sie von einem Zuzug Nutzen zogen. Erst Privilegien aus der Zeit Wenzels II. für die Städte Littau und Olmütz (1291) erlauben es, in diesen Einzelfällen das befreiende Prinzip des Stadtmilieus anzuerkennen. Zum Schluß geht der Verfasser auf die Bildung des städtischen Patriziats ein, für welches er Ausübung der politischen Macht, ökonomische Konzentration durch Handel und Grundbesitz und schließlich soziale Höherstellung gegenüber der Bürgergemeinde als prägend ansieht.

 

Die Untersuchung ist geprägt durch eine umfassende Heranziehung der deutschen und französischen Literatur und ihrer Nutzung für den Vergleich mit den böhmischen Quellen. Sie werden ausführlich analysiert und damit in ihrer Bedeutung für die europäische Städteforschung nutzbar gemacht, nicht zuletzt darin ist die Begründung zu finden, diese Arbeit ohne neuerliche Überarbeitung jetzt in deutscher Sprache zu drucken.

 

Das abschließende Literaturverzeichnis entspricht dem Erscheinungsjahr der Originalausgabe. Eine Konkordanz der Ortsnamen in ihrer deutschen und tschechischen Form ist eine Bereicherung des Werkes. Ein Orts- und Personenregister beschließt die Arbeit.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz