Kähler, Lorenz,
Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts (= Ius privatum 165). Mohr
(Siebeck), Tübingen 2012. XIV, 480 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das objektive Recht wird vielfach als eine Summe von Sätzen beschrieben, die dem Menschen Verhalten teils gebieten und teils verbieten. Da diese Sätze als von der Allgemeinheit gegenüber den Einzelnen aufgestellt gesehen werden und die Allgemeinheit gegenüber dem Einzelnen ein Gewaltmonopol behauptet, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass der einzelne Rechtssatz gegenüber dem Einzelnen uneingeschränkte Geltung hat. Indessen ist seit Langem anerkannt, dass auch der Einzelne zahlreichen Rechtssätzen gegenüber die Möglichkeit hat, die Anwendung für sich zu bejahen oder zu verneinen.
Mit dieser im Grundsatz unbestrittenen Gegebenheit befasst sich die von Uwe Diederichsen betreute, im Sommersemester 2010 von der juristischen Fakultät der Universität Göttingen angenommenes Habilitationsschrift des 1973 geborenen, nach dem Abitur des Jahres 1992 in Leipzig in Rechtswissenschaft und Philosophie in Heidelberg, London, Göttingen, Erfurt sowie Cambridge/Massachusetts ausgebildeten, in Göttingen 2003 auf Grund einer Dissertation über Strukturen und Methoden der Rechtsprechungsänderung promovierten und 2007 zum Magister Artium der Philosophie graduierten, inzwischen in Bremen tätigen Verfassers in überlegter und sehr zielführender Art und Weise. Sie gliedert sich nach einer kurzen Einleitung in sechs Kapitel. Sie betreffen den Begriff des abdingbaren Rechtes, die Modelle, die Wirkung, die Rechtfertigung und die Feststellung abdingbaren Vertragsrechts und schließlich abdingbare Normen.
Im Ergebnis stellt der Verfasser fest, dass Abbedingung einer Norm nur den Ausschluss der Anwendbarkeit ohne Infragestellung der Geltung bedeutet. Nach ihm stehen abdingbare Normen in einem Spannungsfeld zwischen Parteien, Recht und Wirklichkeit. Im Vergleich zum zwingenden Recht ermöglichen abdingbare Normen den Parteien größere Autonomie und bewirken eine größere Wirksamkeit von Vereinbarungen.
Wo im Einzelnen die Grenze zwischen abdingbarem Recht und zwingendem Recht verläuft, unterliegt nach den überzeugenden Erkenntnisses des Verfassers geschichtlichem Wandel. Weil eine Regelung durch zwingendes Vertragsrecht den Vertrag als Regulierungsgegenstand voraussetzt, geht der Verfasser trotz des Vordringens zwingenden Rechtes von einem unausweichlichen Minimalumfang von Dispositionsmöglichkeiten aus. Die vielfältigen Arten und zahlreichen Wirkungen der abdingbaren Normen schließen zwar eine Reduktion auf einen Aspekt oder ein Modell aus, doch sind für die Rechtfertigung der Wert der entstehenden Handlungsoption, die berechtigten Erwartungen der Parteien und die Möglichkeit der Abbedingung im Sinne einer ansprechenden Pluralität von Gründen besonders bedeutsam.
Innsbruck Gerhard Köbler