Jureit, Ulrike, Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert. Hamburger Edition, Hamburg 2012. 445 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Raum ist wie die Zeit eine vorgegebene Dimension, die der Mensch in seiner Geschichte als selbverständlich angenommen und im Rahmen seiner Möglichkeiten genutzt hat. Dementsprechend hat er immer wieder Raum - auch zu Lasten anderer - in Besitz genommen und gegen andere Menschen verteidigt, wie etwa die Bildung von Reichen bereits im Altertum erkennbar bezeugt. Das darüber hinaus gehende Ordnen von Räumen wird demgegenüber erst in neuerer Zeit deutlicher sichtbar, weshalb von einer planerischen Ordnung des Raumes durch den Staat im Sinne einer Raumordnung auch erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gesprochen wird.

 

Die 1964 geborene, in Geschichte ausgebildete, 1997 mit einer Dissertation über Erinnerungsmuster im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews mit Überlebenden der Konzentrationslager und Vernichtungslager promovierte und seit 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am historischen Seminar der Universität Hamburg tätige Verfasserin greift in ihrer vorliegenden Untersuchung über dieses engere Verständnis aber deutlich hinaus. Ihr geht es um die Vorstellung, dass Überlegungen zu Territorialität politisches Handeln maßgeblich beeinflussen können. Im Mittelpunkt steht dabei die Zeit zwischen dem zweiten deutschen Kaiserreich und dem Ende des zweiten Weltkriegs.

 

Dementsprechend beginnt die Verfasserin in ihrer eindrucksvollen Arbeit mit der Kolonialpolitik, die von leeren Räumen in Afrika ausgeht, aber die Vorbevölkerung nur unterwerfen und nicht auch vereinheitlichen will. Danach sieht sie das Verhalten der Siegermächte des ersten Weltkriegs, die entgegen der Volksabstimmung vom 20. März 1921 den wirtschaftlich wertvolleren Teil Oberschlesiens an Polen gaben, als besonders bedeutsam für die Entwicklung von Raumkonzepten eines deutschen Lebensraums an, in deren Rahmen sich auch Juristen wie Carl Schmitt, Reinhard Höhn oder Werner Best betätigen. Im Ergebnis entstand daraus unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ein Generalplan Ost zur Errichtung eines großgermanischen Reiches bis zum Ural, in dem Juden als schnell, wirksam und endgültig zu beseitigende Altlast angesehen wurden, wie im Übrigen in ähnlicher Weise auch in der Sowjetunion Josef Stalins Homogenisierung der Bevölkerung angestrebt wurde.

 

Innsbruck                                            Gerhard Köbler