Jung, Han-Wei, Rechtserkenntnis und Rechtsfortbildung im Völkergewohnheitsrecht. Das Verhältnis zwischen Methodik und Rechtsquellenlehre (= Beiträge zu Grundfragen des Rechts 9). V & R, Göttingen 2012. 268 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das die Gesamtheit der die Rechte und Pflichten der Staaten und anderen Völkerrechtssubjekte umfassende, in seinen einfachsten Anfängen Jahrtausende vor die Zeitenwende zurückreichende Völkerrecht ist in seinem Bestand wegen des Fehlens eines eindeutigen Gesetzgebungsorgans nicht völlig unzweifelhaft, auch wenn es in seiner modernen Gestalt seit dem Ausgang des Mittelalters allgemein anerkannt ist. Seine Quellen sind mangels der Souveränität eines Gesetzgebers hauptsächlich Verträge und Völkergewohnheitsrecht. Hiervon bedarf das Völkergewohnheitsrecht jeweils einer längeren Dauer und einer entsprechenden Rechtsüberzeugung.

 

Die Idee, die deduktive Rechtsfindung zum Gegenstand einer Dissertation zu machen, entstand für Han-Wei Jung bei einem von Matthias Herdegen veranstalteten Seminar. Die Bearbeitung erfolgte während vierer Jahre am Lehrstuhl Böse. Gegliedert ist die Untersuchung außer in Einleitung und Schluss in Überlegungen zur Feststellung und Auslegung des Gewohnheitsrechts und zu Betrachtungen über die Grenze der Rechtsfortbildung des Gewohnheitsrechts.

 

Im Ergebnis zeigt die Arbeit ansprechend auf, dass die Nürnberger Prozesse nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zu einem Wandel der Einschätzung des Völkerrechts führten, weshalb die Gedankenführung des Werkes auch durch ein Lichtbild aus diesem Verfahren auf dem Außentitel veranschaulicht wird. Mehr und mehr wird das Völkerrecht als eine Wertordnung verstanden, in deren Rahmen die Deduktion für die Rechtsgewinnung besondere Bedeutung erlangt. Von daher weist die Untersuchung überzeugend darauf hin, dass im Völkerrecht sichere methodische Maßstäbe erforderlich sind, mit deren Hilfe die mit Konsens gewonnenen Entscheidungen geschützt werden können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler