Hoffmann, Volker Karl, Die Strafverfolgung der NS-Kriminalität am Landgericht Darmstadt (= Quellen und Forschungen zur Strafrechtsgeschichte 10). Erich Schmidt, Berlin 2013. 371 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler des Deutschen Reiches ernannt wurde, hatte er ein festes politisches Programm, das zahlreiche Wähler mit ihrer Stimme unterstützt hatten. Dass davon auch das Recht berührt werden würde, konnte eigentlich niemandem ernsthaft zweifelhaft sein. Dennoch war zu dieser Zeit nicht vorhersehbar, in welchem Umfang nationalsozialistische Kriminalität verwirklicht werden würde, doch konnte dies nicht verhindern, dass nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft die besondere nationalsozialistische Kriminalität nach Regeln über die Ahndung von Straftaten betrachtet werden konnte, sollte und musste.

 

Der Verfasser der vorliegenden, einen Ausschnitt der Strafverfolgung der nationalsozialistischen Kriminalität untersuchenden Arbeit wurde in Friedberg in Hessen kurz vor dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft geboren, studierte nach Abitur und Wehrdienst von 1966 an in Frankfurt am Main Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht und Rechtsgeschichte, war neben der praktischen Ausbildung bei der Technischen Universität Darmstadt als Assistent tätig und arbeitete nach der zweiten juristischen Staatsprüfung von 1973 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2007 als Syndikusanwalt bei Arbeitgeberverband und in der Industrie. Seine vorliegende Mainzer Dissertation geht auf eine Anregung J. Friedrich Battenbergs als Leiter des Staatsarchivs Darmstadt zurück und wurde von Andreas Roth betreut und bewertet. Sie setzt sich zum Ziel, für den Landgerichtsbezirk Darmstadt zu ermitteln, wie die nationalsozialistischen Machthaber die Voraussetzungen für die späteren Handlungen geschaffen haben und ob und wie die Justiz nach 1945 das Erforderliche und Mögliche getan hat, die auf dieser Grundlage mögliche und verwirklichte Kriminalität zu ahnden.

 

Gegliedert ist die gelungene Arbeit außer in eine Anlage, Schlussbetrachtungen und umfangreiche Anhänge in zehn Abschnitte. Sie betreffen die Beseitigung von Demokratie und Recht nach dem 30. Januar 1933, den Wiederaufbau von Verwaltung und Gerichtsbarkeit nach der Kapitulation des Deutschen Reiches vom 8. Mai 1945, die lokalen Straftaten (den Tod des Hitlerjungen Crössmann, Straftaten in Zusammenhang mit der Machtergreifung, Straftaten in Zusammenhang mit der Reichspogromnacht, Verfahren in Zusammenhang mit der Euthanasie, Verfahren in Zusammenhang mit der Deportation, Straftaten in der Endphase des Krieges und sonstige Straftaten), die Anlässe der Verfolgung der lokalen Straftaten, die Bewertung der Strafverfolgung lokaler Verbrechen, die Entnazifizierung, den Mentalitätswandel und das Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949, das Resultat hinsichtlich der lokalen Straftaten, die NS-Verbrechen im Osten sowie die Juristenverbrechen mit einem Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen Staatsanwalt Harzmann vom Volksgerichtshof. Im Ergebnis kann der Verfasser auf Grund der vollständig erfassten Fälle des Landgerichtsbezirks Darmstadt feststellen, dass trotz einiger Unzulänglichkeiten fast jedem strafrechtlich relevanten Sachverhalt durch Polizei und Staatsanwaltschaft entschieden nachgegangen wurde und auch die Entnazifizierung der lokalen Täter der Reichspogromnacht die angestrebten Folgen bewirkte, sodass sich als Summe seiner abschließenden, teilweise durchaus kritischen 13 Thesen die Erkenntnis ergibt, dass die Justiz in der Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen zumindest das geleistet hat, was man von ihr erwarten konnte, nach Ansicht des Verfassers sogar mehr.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler