Halle im Licht und Schatten Magdeburgs. Eine Rechtsmetropole im Mittelalter, hg. v. Lück, Heiner (= Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte 19). Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012. 218 S., 25 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Zum ‚Tag der hallischen Stadtgeschichte’ veranstaltete der Verein für hallische Stadtgeschichte e. V. am 4. und 5. November 2011 verschiedene Vorträge, die in erfreulich kurzem Abstand zu der Tagung vorgelegt werden. Die Autorinnen und Autoren sind als Historiker, Germanisten und Juristen ausgewiesene Kenner der mittelalterlichen Geschichte und viele arbeiten speziell zur Geschichte des Magdeburger Rechts.

 

Einleitend gibt Heiner Lück eine Einführung zur Wirkung des Magdeburger Schöffenstuhls (S. 9-36). Er äußert Zweifel an dem Begriff der aus dem 19. Jahrhundert tradierten „Stadtrechtsfamilie“ mit einem „Oberhof“ und regt an Gerhard Dilchers Begriff der „stadtrechtlichen Verbindungen“ zu nutzen. Unter Vorstellung der verschiedenen Rechtsquellen, die Magdeburger Recht als Grundlage haben, macht er darauf aufmerksam, dass sich in der Ukraine noch bis um 1840/1842 Spuren Magdeburger Rechts erhalten haben. Die Entwicklung des Leipziger Schöffenstuhls und der Sprüche der Hallenser Schöffen in ihrer Bedeutung für das Halle-Neumarkter Recht wertet Lück als eine Verselbständigung gegenüber der Dominanz der Magdeburger Schöffen. Magdeburg, Halle und Leipzig, in dieser Reihenfolge, betrachtet er als in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehend. Stephan Dusil entwickelt Forschungsstand, Fragen und Perspektiven des hallischen Stadtrechts (S. 37-60). Er hält ausführliche Forschungen für nötig, um die juristischen Grundlagen der spätmittelalterlichen Lebenswelt zwischen Magdeburg und Kiew aufzuhellen. Gerade die Frage, ob statt „Stadtrechtsfamilien“ eher regionale Rechtsfamilien prägend waren, erscheinen ihm beachtenswert. Henning Steinführer betrachtet den Leipziger Rechtsbrief (S. 61-71), den er unter Erörterung der Fragen seiner Echtheit, als ein wichtiges Zeugnis der Übernahme hallischen Rechts nach Leipzig ansieht. Zur Frage der Echtheit hält er weitere Untersuchungen unter Nutzung neuerer Forschungsmöglichkeiten für wünschenswert. Dietlinde Munzel-Everling gibt aus ihrer profunden Kenntnis der Rolandforschung einen Überblick über die Geschichte und Deutung des Rolands von Halle (S. 72-112). An ihm kann sie die verschiedenen Bedeutungen darlegen, die den Roland-Darstellungen in den verschiedenen Orten beigelegt worden sind. Für Halle kann sie aufzeigen, dass hier der Roland im 13. Jahrhundert möglicherweise nur als ein Abbild des Helden Rolands aufgestellt wurde; später erhielt er die Bedeutung als Rechtssymbol, zuerst als Zeichen des Kaiserrechts, ab 1426 als Zeichen der Gerichtsstätte des Burggrafengerichts, ab dem 17. Jahrhundert als Zeichen der Blutgerichtsbarkeit und später als Zeichen der bedeutenden Vergangenheit der Stadt Halle. Gerade die Detailgenauigkeit der Ausführungen zeigt, dass für jedes Beispiel eines Rolandes in einem Ort eine monokausale Erklärung Zweifel wecken muss. Erst eine Detailprüfung lässt erkennen, welche Bedeutung dem Roland des jeweiligen Ortes zu den verschiedenen Zeiträumen zukam. Christoph Mackert beschreibt unbekannte hallische Elemente in der juristischen Sammelhandschrift Ms 950 der Universitätsbibliothek Leipzig (S. 113-129). Die überaus sorgfältige Analyse der Handschrift, in der ihr Schreiber durch verschiedene Datumsangaben aus den Jahren 1431 und 1432 die zeitliche Entstehung dokumentiert hat, zeigt, dass frühere Vermutungen über einen Bezug der Handschrift zu Halle zutreffen. Der Textbestand kann eine erzbischöflich-magdeburgische Perspektive auf das Rechtsleben in Halle vertreten. Dieser Gesichtspunkt führt dazu, die Wappendarstellung (fol. 98v) nicht als frühe Form des Hallenser Stadtwappens, sondern als Hinweis auf erzbischöfliche Gerichtsrechte in Halle zu deuten. Ulrike Müßig behandelt Verfügungen von Todes wegen in den Hallischen Schöffenbüchern (S. 130-150) anhand der Edition Gustav Hertels. Das Recht der Bürgerstadt/Bergstadt Halle zeigte bereits im 13. Jahrhundert Elemente einer Testierfreiheit im Sinne des römisch-kanonischen Rechts. Die erbrechtliche Wirkung der Verfügung hat sich nach den rechtstatsächlichen Belegen im 15. Jahrhundert etabliert. Bernd Kannowski stellt die 30 Artikel des Halle-Neumarkter Rechts (S. 151-183) vor und druckt den lateinischen Text neben einer deutschen Übersetzung ab. Herzog Heinrich I. von Schlesien (und von Polen) war ein großer Kolonisator in Schlesien, der zahlreichel Siedlungen gründete. Die Anfrage um Information über das Recht der Stadt Halle lässt viele Interpretationen offen. Sie stellt Kannowski dar, ebenso beschreibt er die Unterschiede in Halle zwischen der Bergstadt, wo der Schultheiß zu Gericht saß, und der Talstadt, wo der Salzgraf dies tat. Besonders an Regelungen des Erbrechts zeigt Kannowski die Unterschiede zwischen flämischem Recht und dem Sachsenspiegel auf, die den Rechtsbrief prägen. Eine Darstellung der Textüberlieferung schließt den Beitrag. Wieland Carls ergänzt den vorangehenden Beitrag durch seine Ausführungen zur Verbreitung des Halle-Neumarkter Rechts in Schlesien (S. 184-205). Eine gewisse Wiederholung der vorherigen Ausführungen wird nicht vermieden. Der Abdruck von 513 schlesischen und polnischen Orten folgt Franz Zmarzlys Ausführungen von 1935. Carls stellt eine Überprüfung in Aussicht, die klären soll, wann eine Übertragung des Rechts erfolgt sein soll und aus welchen Gründen eine Übertragung des Halle-Neumarkter Rechts erfolgt sein kann.

 

Die Thesen aller Beiträge sind mit einem reichhaltigen Anmerkungsapparat, der weiterführende Literatur verzeichnet, belegt. Zahlreiche Abbildungen guter Qualität untermauern die Thesen der jeweiligen Verfasser.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz