Franke, Ellen, Von Schelmen, Schlägern, Schimpf und Schande. Kriminalität in einer frühneuzeitlichen Kleinstadt - Strasburg in der Uckermark (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas, Fallstudien Band 10). Böhlau, Köln 2012. 270 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die vorliegende Arbeit wurde 2008 am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin zur Erlangung des Magistergrads unter dem wohl doch aussagekräftigeren Titel Kriminalität in einer frühneuzeitlichen Kleinstadt - Strasburg in der Uckermark eingereicht. Betreut wurde sie von Winfried Schich, an dessen Lehrstuhl die Verfasserin nach ihrem Vorwort eine auf Vertrauen, Anerkennung und Kooperation basierende Arbeitsatmosphäre vorfand. Auf der Grundlage eines rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Potsdam (erste juristische Staatsprüfung 1997) und eines anschließenden Geschichtsstudiums an der Humboldt-Universität (Mag. phil 2008) ist die Verfasserin seit 2009 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung KRGÖ des Instituts für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien tätig.

 

Sie gliedert ihre überzeugende, auf den interessierten Leser ausgerichtete, 92 Konflikte, 136 Urfehdebriefe und damit weitere 121 Streitfälle verwertende Untersuchung in insgesamt sechs Abschnitte. Nach einer kurzen Einleitung schildert sie die kriminalitätshistorischen Rahmenbedingungen und den kleinstädtischen Rahmen des etwa 1000 bis 1500 Bewohner zählenden Ortes Strasburg im ländlichen Nordwesten der Uckermark, um danach das formelle Sanktionsinteresse von der Tat zur Anzeige (Körper und Ehre, Eigentum, Moral, obrigkeitliche Rechte) und die formelle Sanktionspraxis von der Anzeige zum Urteil sorgfältig zu erörtern. Ausgehend davon, dass 1612 Drewes Henning 1612 volltrunken mit geladenem Gewehr am helllichten Tag durch Strasburg lief und im Verlauf eines Zweikampfs der Sohn des Stadtdieners eine Schnittverletzung erlitt, der er kurze Zeit später erlag, gelangt sie zu zahlreichen eigenständigen ansprechenden Ergebnissen.

 

Danach lebte Drewes Henning 1612 in einer Zeit des Wandels, in dem sich herkömmliche Konfliktlösungsmechanismen und moderne Kriminalitätsbekämpfungsmethoden überlagerten und ergänzten. Vielfach werden anscheinend informale Sozialkontrollen den formellen Verfahren  vorgezogen und vom Rat, der bis 1630 in der Mehrzahl der untersuchten Konflikte als eigenständig handelnder Herrschaftsträger erscheint, nicht bekämpft, sondern eher gefördert. Die außergerichtliche Schlichtung, in deren Rahmen der Rat den vorhandenen Spielraum des frühneuzeitlichen Strafsystems unter Berücksichtigung des sozialen und politischen Beziehungsgeflechts ambivalent wahrnahm, war geeignet, unbescholtene Täter wie Drewes Henning vor Rechtsweg, Körperstrafe, Todesstrafe oder Absinken in das randständige Milieu zu bewahren.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler