Flaig, Egon, Die Mehrheitsentscheidung. Entstehung und kulturelle Dynamik. Schöningh, Paderborn 2013. 628 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der Mensch ist seit seiner Entstehung ein Individuum mit einem eigenen Willen und zugleich ein soziales Wesen, das ohne Gemeinschaft auf Dauer nicht bestehen kann. Das führt gewissermaßen von selbst zu der Frage, auf welche Weise sich der Wille des einen mit den Willen anderer vereinen lässt. Hierfür bieten sich die verfahrensmäßig schwierige, aber den Willen aller Einzelnen wahrende Herbeiführung der Einstimmigkeit und die verfahrensmäßig einfache, aber immer den Willen mindestens eines Beteiligten grundsätzlich verneinende oder brechende Mehrheitsentscheidung als grundsätzliche Lösungen an, die im Laufe der Geschichte beide an unterschiedlichen Stellen vertreten werden.

 

Der sich mit dieser Frage auseinandersetzende, in Gronau in Württemberg 1949 geborene Verfasser war nach dem Studium von Geschichte und Romanistik in Stuttgart, Paris und Berlin ab 1977 als Lehrer und Übersetzer tätig. 1984 wurde er bei Alexander Demandt und Jacob Taubes mit einer Dissertation über angeschaute Geschichte - zu Jakob Burckhardts griechischer Kulturgeschichte promoviert und 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter Jochen Martins in Freiburg im Breisgau auf Grund einer Schrift zu Den Kaiser herausfordern (Die Usurpation im römischen Reich) für alte Geschichte habilitiert. 1998 wurde er an die Universität Greifswald berufen und 2008 nach der dortigen Schließung des Faches an die Universität Rostock versetzt.

 

Sein vorliegendes Werk gliedert sich in insgesamt 13 Abschnitte, die von einem Problemaufriss des konsentischen Entscheidens ausgehen und am Ende die Frage nach dem möglichen Verschwinden des Mehrheitsprinzips in Gegenwart und Zukunft stellen. Dazwischen untersucht der Verfasser auf breiter Grundlage die politische Anthropologie der Varianten und Übergänge, drei originäre Emergenzen der Mehrheitsregel unter Berücksichtigung Islands, Samoas, Japans, Indiens und des Judentums, den Weg zum Mehrheitsprinzip und wieder zurück, die Genesis der Majorz in Hellas, die Risiken der Mehrheitsentscheidungen, fragwürdige Beschlüsse, den römischen Fall, das Verschwinden der Majorz aus dem imperium Romanum, die Reflexion über die Mehrheitsentscheidung und die Geburt der Wissenschaft aus dem Geiste der Mehrheitsentscheidung. Trotz dieses weiten Blickes bleibt allerdings die strukturanalytische Herleitung des modernen Gleichheitsgedankens, der Demokratie und der Wissenschaft aus dem antiken Mehrheitsentscheid einer bevorrechtigten Menschengruppe einigermaßen fraglich.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler