Fischer, Anne-Kathrin, Die verhinderte Ehe. Das impedimentum criminis im protestantischen Eherecht der Wittenberger Reformation (= Schriften zum Familien- und Erbrecht 6). Nomos, Baden-Baden 2012. 123 S. Besprochen von Hiram Kümper.

 

Mit der vorliegenden Arbeit ist die Verfasserin im Wintersemester 2011/2012 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena promoviert worden. Sie hat sich darin vorgenommen, die Rolle des Ehehindernis des Verbrechens (impendiumentum criminis) für das protestantische Eherecht im Umfeld der Wittenberger Reformatoren des 16. Jahrhunderts zu untersuchen.

 

Genauerhin betrachtet Fischer allerdings nur zwei Teilbereiche dieses crimen, nämlich den Ehebruch und den Gattenmord. „Teilweise wurden auch Tatbestände des Inzests (incestus) und der Entführung (raputs) zu diesem Ehehindernis [des impedimentum criminis, HK] gezählt. Sie sind aber nicht Gegenstand der Untersuchung“ (S. 15). Warum eigentlich nicht? Die Begründung bleibt die Verfasserin schuldig. Während eine Aussparung beim Inzest wegen der nahen Verwandtschaftsgrade, die selbst schon ein Ehehindernis darstellten, noch einigermaßen nachvollziehbar ist, leuchtet sie beim raptus umso weniger ein – denn genau diese Frage, ob der raptor die rapta später heiraten dürfe, bewegt die Gemüter ja sehr und über einen langen Zeitraum hinweg; sowohl unter Theologen als auch unter Juristen. Viele unter ihnen argumentieren eher für das soziale Befriedungspotential einer solchen Verbindung unter gewissen Umständen. Und aus den überreichen Eheklagen, nicht nur vor mittelalterlichen Gerichten, sondern auch vor protestantischen Konsistorien stechen doch gerade immer wieder Fälle hervor, in denen man versucht, die sozialen Konsequenzen von Entführung und Vergewaltigung durch eine Ehe zwischen Klägerin und Beklagten einzudämmen. Das Problem ist also allem Anschein nach viel alltagspraktischer verankert als etwa die von der Verfasserin behandelte Frage nach dem Gattenmord. Drittens schließlich scheint es sich anzudeuten, dass gerade die protestantischen Juristen des 16. Jahrhunderts den kanonischen raptus in parentem, also die Entführung gegen den Willen der Eltern (nicht so sehr denjenigen der Frau), wieder stärker reaktivieren. Alles in allem: es leuchtet absolut nicht ein, warum ausgerechnet der raptus ausgespart bleibt. Wenn es aus arbeitspragmatischen Gründen geschehen sein, wäre wenigstens eine kurze Begründung nötig gewesen.

 

Als Quellengrundlage zur Bearbeitung ihrer Fragestellung zieht Fischer die Stellungnahmen von Luther und Melanchthon, sieben sächsische Juristen des 16. Jahrhunderts und deren Arbeiten zum Eherecht sowie die Sammlungen zeitgenössischer Kirchenordnungen von Aemilius Ludwig Richter (2 Bde., Leipzig 1871) und Emil Sehling (19 Bde., Leipzig 1902ff.) heran. Dazu stellt sie eingangs noch fest, es sei „schwierig in der Rechtsprechung des Wittenberger Konsistoriums … passende Fälle zu finden.“ (S. 15). Auf Grundlage des von Ralf Frassek erstellten Registers (Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit, Tübingen 2005, Anhang II, S. 293ff.) seien dann „einige Fälle im Weimarer Staatsarchiv durchgesehen und bearbeitet“, letztlich aber „keine für die vorliegende Untersuchung relevanten Sachverhalte gefunden“ worden (S. 16). Wie das nun angehen soll, ist nicht recht nachvollziehbar, zumal auch hier die Verfasserin Hinweise auf diejenigen Prozesse, die sie nun schlussendlich tatsächlich durchgesehen hat, schuldig bleibt. Frassek gibt durch seine hilfreiche Zusammenstellung genaue Hinweise auf Eherechtsprozesse, in denen das crimen impendimentum eine Rolle spielte. Warum nun sind deren Argumentationen, Allegationen und „Sachverhalte“ nicht „relevant“? Auch hier wäre eine Begründung nötig gewesen. Man kann aus arbeitspragmatischen Gründen problemlos für den Ausschluss handschriftlicher bzw. prozessualer Quellen argumentieren. Aber ein bloßes Wegwischen mit Hinweis auf mangelnde Relevanz, ohne nähere Begründung, ist wenig überzeugend.

 

Mit ähnlicher handwerklicher Nonchalance geht es leider weiter. Vieles wird gar nicht nach den (Editionen der) Originalquellen, sondern direkt nach Sekundärliteratur zitiert. Das mag bei einem einleitenden Überblick, wie etwa der tour de force zum Ehebruch im mittelalterlichen weltlichen Recht (S. 48-53), noch nur unschön, aber irgendwie verschmerzbar sein. Spätestens wenn es an die eigentlichen Quellen der Untersuchung geht, ist es aber kaum verzeihlich.

 

Ein besonders sinnfälliges Beispiel für die Probleme mit dieser sehr verknappen, eher an Überblicksliteratur als an den Quellen orientierten Behandlung ist Conrad Mauser als einer der sieben untersuchten Juristen: auf drei biographischen Zeilen folgen vier (!) Zeilen, die seinen Beitrag zur untersuchten Frage zusammenfassen. Eine so kompakte Behandlung erlaubt noch das Vollzitat: „Er kannte die vierzehn von der Glosse tradierten Ehehindernisse, außerdem übernahm er zusätzlich vier Hindernisse aus dem von Johannes de Platea erweiterten Katalog. Auch Mauser setzte sich nicht mit dem Ehehindernis des Verbrechens auseinander. Über Ehebruch schrieb er nur im Rahmen der Scheidung.“ (S. 75) Welche zusätzlichen Hindernisse übernahm er? Wer ist eigentlich Johannes de Platea? Von welcher Glosse ist hier die Rede? Alles das erfahren wir nicht. Dazu verweist die Fußnote darauf, welches Werk „durchgesehen“ (Fn. 378) wurde, gibt aber weder Kapitel- noch Seiten- oder Blattzahl, sodass der Leser zu Mejers in den Fußnoten angegebener Geschichte des Eherechts (in: ZKR 16, 1881, S. 49) greifen muss, woraus die obige Information nämlich offensichtlich eigentlich übernommen wurde und der vor 130 Jahren auch schon den genauen Stellennachweis für entbehrlich hielt. So etwas ist ärgerlich.

 

Man könnte die Mäkeleien in dieser Hinsicht noch lange weiterführen. Dass etwa die S. 15 Fn. 6 nach Christina Deutschs Arbeits zur Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480-1538) (2005, dort S. 310) mitgeteilten Hinweise auf vier Regensburger Eheprozesse im Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 114) dann als „Ungedruckte Quellen“ der vorliegenden Arbeiten aufgeführt werden und damit eine persönlich Einsichtnahme suggeriert wird, ist bestenfalls eigenartig, schlimmstenfalls unredlich. Schon die Zitation (dreimal eigentlich dieselbe Archiveinheit mit nur jeweils unterschiedlichen Blättern) legt sehr nahe, dass hier nichts im Original eingesehen wurde. Warum auch? Alle für die Argumentation wichtigen Informationen findet man bereits bei Deutsch.

 

Über diese vielen Kriteleien am handwerklich sehr nachlässigen Stil der Verfasserin bleibt noch die Frage nach dem Ertrag der Arbeit. Fischer kommt zu dem Schluss: „Das kanonische impedimentum criminis wurde in seiner Breite von den protestantischen Reformatoren und Juristen nicht erfasst. Bis auf wenige Ausnahmen wurde lediglich auf den Grundtatbestand Ehebruch Bezug genommen“ (S. 109). Zugleich betont sie die besondere konzeptionelle Komplexitätssteigerung, die durch die Möglichkeit der Ehescheidung im protestantischen Recht gegeben war.

 

Diese Arbeit hat sich eines spannenden Themas angenommen, für das noch eine Menge Material der Aufarbeitung harrt. Gemessen daran kann sie aber leider nur enttäuschen.

 

Bielefeld                                                                     Hiram Kümper