Fiori, Antonia, Il giuramento di innocenza nel processo canonico medievale. Storia e disciplina della „purgatio canonica“ (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte - Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 277). Klostermann, Frankfurt am Main 2013. 646 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Leben des Menschen kann es in den verschiedensten Hinsichten um Schuld oder Unschuld gehen. Insbesondere kann ihm ein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden, das unerwünschte Folgen für ihn nach sich ziehen kann, weshalb er vielfach mit allen Mitteln versuchen wird, den Schuldvorwurf zu widerlegen. Zu den in diesem Zusammenhang anerkannten Mitteln zählt vor allem bei Fehlen einfacherer und zuverlässigerer Möglichkeiten auch der eigene Eid des Betroffenen hinsichtlich seiner Unschuld.

 

Mit den damit zusammenhängenden Fragen befasst sich die umfangreiche Monographie der Verfasserin, die ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität La Sapienza in Rom absolviert und in der Geschichte des römischen Rechts promoviert hat. Bereits im Jahre 2001 legte sie nach einer ersten Veröffentlichung des Jahres 1999 den ersten Teil ihrer Untersuchungen über den Reinigungseid vor, der sich auf die Zeit vom 6. bis zum 11. Jahrhundert (nach den Worten der Verfasserin l’alto Medioevo) bezog. Nicht zuletzt mit Hilfe eines Stipendiums des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte konnte dieses wichtige Werk um einen zweiten Teil erweitert werden, der die Zeit von Gratians Dekret von etwa 1140 bis zum Liber Extra, und damit aus germanistischer Sicht das eigentliche Hochmittelalter zum Gegenstand hat.

 

Auf Grund selbständigen Eindringens in die vielfältigen Quellen gelingen der Verfasserin in Auseinandersetzung mit der umfangreichen Literatur vielfältige eigenständige Ergebnisse, die in ihrer Summe den Unschuldseid als bedeutsame Rechtseinrichtung (istituto giuridico dinamico) erweisen. In der Gesamtentwicklung behielt er zwar seine wesentlichen Merkmale, war aber für notwendige Neuerungen stets offen. Bedauerlich ist nur, dass die Verfasserin den Zugang zu ihren wertvollen Erkenntnissen nicht auch dadurch erleichtert hat, dass sie ihrer kurzen Zusammenfassung eine deutsche oder englische Übertragung beigegeben hat, was angesichts der verwendeten deutschen Literatur und den Beziehungen zum Max-Planck-Institut wohl kaum allzu schwer hätte fallen können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler