Festschrift Einhundertfünfzig (150) Jahre Bayerisches Notariat, hg. vom bayerischen Notarverein. Beck, München 2013. VII, 291 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Bedeutung der Einführung des hauptamtlichen Notariats im rechtsrheinischen Bayern durch das Notariatsgesetz von 1861 (in Kraft getreten am 1. 7. 1862) sowohl für Bayern als auch für Deutschland ist kaum zu unterschätzen. Denn die Notwendigkeit der Beurkundung des Kausalgeschäfts über Grundstücke im § 313 BGB a. F. geht auf Bayern zurück (vgl. hierzu und zum Folgenden W. Schubert, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch, 1980, S. 23ff.). Dass nach § 925 BGB seit 1934 die Auflassung auch reichsrechtlich vor einem Notar erfolgen konnte, ist auf den aus Bayern stammenden Reichsjustizminister Franz Gürtner zurückzuführen, unter dem auch die Reichsnotarordnung von 1937 erging. Es ist deshalb zu begrüßen, dass mit der Festschrift des Bayerischen Notarvereins, über den bisherigen Forschungsstand hinaus wichtige Aspekte der Entwicklung des Notariats in Bayern erschlossen werden. Christoph Th. Becker (Universität Augsburg) würdigt in seinem Beitrag die Herausbildung einer unabhängigen, qualitätsgesicherten Beurkundung durch öffentliche Amtsträger als „Kulturgut“ in Bayern unter Berücksichtigung der Gesamtentwicklung (S. 1ff.). Nach dem Ende des alten Reichs übertrug Bayern durch das Gerichtsverfassungsedikt von 1808 die Beurkundung von Rechtsgeschäften den erstinstanzlichen Gerichten; allerdings blieb die Beurkundungsbefugnis der „Siegelbefugten“ bestehen; neue Notare wurden so gut wie nicht mehr ernannt (S. 20ff.). Das Gesetz von 1861 beruht im Wesentlichen auf einer Rezeption des pfälzisch-französischen Notariatsrechts, das zunächst bestehen blieb und erst durch die Neufassung der Notariatsordnung für ganz Bayern 1899 seine Sonderstellung verlor (S. 31f.).

 

Im folgenden Beitrag befasst sich Felix Grollmann (wiss. Mitarbeiter an der Universität München) mit der Kommentarliteratur zur Notariatsordnung bis 1893 (S. 47ff.). Danach hatten die Kommentare zwar „hohen praktischen Gebrauchswert“ (S. 75); jedoch stieß die „wissenschaftliche Leistung der frühen Notarrechtsliteratur hinsichtlich der Lösung von juristischen Problemen unter Bildung von wissenschaftlichen Debatten an ihre Grenzen“. Dies exemplifiziert Grollmann vor allem an der Auslegung des § 14 des Notariatsgesetzes. Die bei weitem umfangreichsten Beiträge des Bandes stammen vom Münchner Notar Herbert Oberseider, der in mühsamer Kleinarbeit Kurzbiographien aller 1862/1863 ernannten 335 Notare erarbeitet hat (S. 137-215). Diese Biographien sind Grundlage einer justizgeschichtlich und sozialhistorisch ausgerichteten Gesamtbiographie der ersten Amtsinhaber (S. 77-135), die folgende Kriterien berücksichtigt: Soziale Herkunft, Vorbedingungen der Bestellung zum Notar, bisherige berufliche Stellung der künftigen Notare vor 1862, Besetzungsverfahren, Altersstruktur, Amtsende, Standestätigkeit, schriftstellerische und politische Tätigkeiten sowie gesellschaftliches und soziales Engagement. Von den 263 zum 1. 7. 1862 ernannten Notaren waren 48,7% in richterlichen Stellungen, 17,5% als Anwälte tätig gewesen, während 33,8% sich noch im Anwärterdienst befanden bzw. noch keine definitive staatliche Anstellung gefunden hatten (S. 99). Das Dienstalter von 309 untersuchten Notaren lag bei durchschnittlich 26 Jahren (S. 90). Aus den höheren Ständen kamen 28%, dem „Mittelstand“ ebenfalls 28%, aus dem Handwerksstand 32% und aus dem Bauernstand knapp 9% der Notare (S. 85ff.). Der Beitrag über das Sozialprofil der ersten Amtsinhaber stellt eine Pionierleistung dar, der vergleichende Darstellungen etwa für den Notar des französischen Rheinlandes und die 1879 neu ernannten mecklenburgischen Notare wünschenswert erscheinen lassen. In einem weiteren Beitrag listet Oberseider die Besetzung der Notarstellen von 1862 bis 1937 im rechtsrheinischen Bayern geordnet nach den Amtssitzen der Notare auf. (1862 waren dies 231 Orte). Ab 1900 galten die Notariate als staatliche Behörden mit dem Zusatz des Ortes, wobei große Orte wie München und Nürnberg mehrere Amtsbezirke mit einer hinzugefügten Ordnungsnummer aufwiesen (etwa für München I-XVIII). Für die nach 1862/1863 ernannten Notare steht eine biographische Erschließung der folgenden Amtsinhaber besonders auch im Hinblick auf ihre Tätigkeit in der NS-Zeit noch aus.

 

Im Beitrag: „Exellenzoffensive und Verwaltungskultur im 19. Jahrhundert – König Maximilian II. von Bayern (1848-1864)“ hebt Hermann Rumschöttel hervor, dass unter Maximilian II. das bayerische Justizwesen „nachhaltig 1862 modernisiert wurde insbesondere durch ein neues Gerichtsverfassungsgesetz“ Trennung von Justiz und Verwaltung auch in der unteren Instanz; Errichtung des selbständigen Notariats und Beginn der Ausarbeitung einer Zivilprozessordnung, die 1869 erging und die für die Zivilprozessordnung von 1877 nicht ohne Bedeutung war). Im letzten Beitrag stellt Hans Wolfsteiner die Inhalte der Festvorträge auf den Jahresversammlungen des Bayerischen Notarvereins von 1955 an zusammen (S. 277-291). Insgesamt liegen mit den Beiträgen in der vorliegenden Festschrift, in der „Festschrift 125 Jahre Bayerisches Notariat“ sowie dem Beitrag von Hans Georg Hermann über die Geschichte des Notariats im links- und rechtsrheinischen Bayern (2012 bei M. Schmoeckel/W. Schubert, Handbuch zur Geschichte des deutschen Notariats seit der Reichsnotariatsordnung von 1812, Baden-Baden 2012, S. 287ff.) wichtige Bausteine zu einer Gesamtgeschichte des bayerischen Notariats vor, die vor allem die Zeit bis 1806 und das 20. Jahrhundert detaillierter, als dies bisher erfolgt ist, berücksichtigen müsste.

 

Kiel

Werner Schubert