Exilerfahrung und Konstruktionen von Identität 1933 bis 1945, hg. v. Horch, Hans Otto/Mittelmann, Hanni/Neuburger, Karin (= Conditio Judaica 85). De Gruyter, Berlin 2013. VIII, 260 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Exil ist in seinem Kern vielleicht genauso alt wie die Gruppenbildung der Menschheit als solche, weil die Gruppe die freiwillige oder auch unfreiwillige Aufgabe der Zugehörigkeit im Kern mitbedingt. Jedenfalls ist das der Benennung zu Grunde liegende lateinische Adjektiv exsul, welches die Präposition ex mit solum, dem Grund und Boden, verknüpft, mit dem Inhalt verbannt, heimatlos bereits bei Plautus (um 250-184 v. Chr.) und damit in der sehr frühen auf die Gegenwart gekommenen Überlieferung des Lateinischen belegt. Zu einem massenhaften, Deutsche berührenden Phänomen ist das Exil allerdings erst in der jüngeren Vergangenheit insbesondere des Deutschen Reiches unter dem Nationalsozialismus geworden.

 

Nach dem Vorwort der beiden Herausgeberinnen wurde die aktuelle Thematik allererst in die Germanistik auf einer vor mehr als 20 Jahren an der Abteilung für deutsche Sprache und Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem abgehaltenen Tagung eingeführt. Dem folgte in Jerusalem im April 2011 im Gedenken an Ludwig Rosenthal eine Konferenz mit dem Titel The Experience of Exile and the Construction of Identity unter den Bedingungen des Nationalsozialismus, in die auch Erfahrungen nichtjüdischer Exilanten wie etwa Thomas Mann eingeschlossen wurden. Nunmehr stellt der vorliegende Sammelband die dortigen 13 Referate der Allgemeinheit leicht zugänglich zur Verfügung.

 

Das Werk beginnt mit Stephan Braeses Studie über Optionen von Identität bei deutscher Sprache und jüdischem Exil nach 1933 und wird mit einem Beitrag Ehrhard Bahrs über das beschädigte Leben Thomas Manns abgeschlossen. Behandelt werden dabei etwa Stefan Zweig, Fanya Gottesfeld Heller, Ruth Klüger, Paul Celan, Chaim Nachman Bialik, Joseph Roth, Franz Kafka, Ludwig Strauß, Karl Löwith, Alfred Döblin oder Leo Perutz. Vielleicht die wichtigste, dabei ermittelte Erfahrung der vielfältigen, durch ein zweiseitiges Personenregister von Theodore Abel bis Stefan Zweig aufgeschlossenen Untersuchungen ist das bittere Schicksal, gegen die eigene Herkunft und ohne freien Willen in linguistischer Isolation zu leben und zu schreiben und die öffentliche Funktion der Sprache aufgeben zu müssen.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler