Erdmann, Tobias von, Die Verfassung Württembergs von 1919. Entstehung und Entwicklung eines freien Volksstaates (= Schriften zum Landesverfassungsrecht 1). Nomos, Baden-Baden 2013. 295 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Nachdem der württembergische König Wilhelm II. Ende November 1918 abgedankt hatte, entstand der Volksstaat Württemberg, dessen verfassunggebende Landesversammlung vom 12. 1. 1919 am 26. 4. 1919 die vorläufige Verfassung und am 25. 9. 1920 die revidierte Fassung des Volksstaates Württemberg verabschiedete. Eine monographische Erschließung dieser Verfassungen lag bisher nicht vor, so dass es zu begrüßen ist, dass v. Erdmann sich dieser Thematik in seiner Münsteraner Dissertation angenommen hat. Die Arbeit verbindet die Analyse der Verfassung mit der Darstellung der politischen Entwicklung Württembergs insbesondere in den Jahren 1918-1920 (S. 22). Sie beginnt mit einer „Vorstellung des Landes Württemberg“ (S. 29-56), in der v. Erdmann insbesondere einen Abriss der Geschichte Württembergs vom 11. Jahrhundert bis 1952 bringt. Es folgt ein Abschnitt über den revolutionären „Umsturz“ Württembergs 1918/19 (S. 57-74). Im ersten Hauptabschnitt der Arbeit über die vorläufige Verfassung vom April 1919 (S. 75-156) geht v. Erdmann zunächst auf die Wahlen zur verfassunggebenden Landesversammlung am 12. 1. 1919, der die (provisorische) Regierung den durch einen vorbereitenden Ausschuss und ihr bearbeiteten Verfassungsentwurf am 23. 1. 1919 vorlegte. Der Entwurf, über dessen Zustandekommen v. Erdmann keine weiteren Details bringt, wurde in der ersten Lesung des Landtags am 31. 1./1. 2. 1919 einem Ausschuss von 24 Mitgliedern überwiesen (S. 78ff.). Nach dem Ende der Ausschussberatungen fanden im Plenum zwei weitere Lesungen im April 1919 statt. Nach Behandlung der Form der Verfassung (S. 83ff.; insbesondere knapper Satzbau in den Einzelregelungen) geht v. Erdmann auf den Inhalt der Verfassung entsprechend ihrer Gliederung näher ein: Staatsgewalt, Grundrechte, Landtag, Staatsleitung und Staatsbehörden, Gesetzgebung sowie Staatsgerichtshof. Als Besonderheiten sind zu erwähnen, dass der Ministerpräsident die Amtsbezeichnung „Staatspräsident“ führte (§ 47), dass ein Staatsgerichtshof zu bilden war (§§ 77 ff.; zuständig u. a. hinsichtlich der Wahlanfechtung und einer Ministeranklage) und dass die Möglichkeit einer Volksabstimmung vorgesehen war (S. 82ff.) Ausführlich bespricht v. Erdmann die Bestimmungen über die Grundrechte (Gleichheitsrechte, Freiheitsrechte, Eigentum/Gemeinwirtschaft, Religionsgesellschaften /Schulen). Das Eigentum stand zwar unter dem „Schutz der Verfassung“ (§ 15), jedoch war der Grundbesitz, soweit er „wirtschaftlich schädlich“ war, aufzuteilen (§ 16 Abs. 1). Hinsichtlich einer Vergesellschaftung der Wirtschaft brachte § 17 Abs. 1 ein „bloßes Grundgerüst“, das durch spätere Gesetze zu konkretisieren war (S. 111).

 

Nach der Verabschiedung der Weimarer Verfassung unterzog die Landesversammlung im September 1919 die Verfassung einer Revision (S. 157-185). Der Grundrechtsteil entfiel mit Rücksicht auf die Grundrechte der Reichsverfassung; jedoch konnten die wirtschaftsprogrammatischen Bestimmungen der Verfassung in den §§ 59-61 der revidierten Verfassung bestehen bleiben (S. 169ff.). Neu war die Regelung des § 39 Abs. 3 der revidierten Verfassung, wonach die Beamten auf die Verfassung und die Gesetze zu verpflichten waren (S. 177f.). Ein weiterer Abschnitt handelt von der verfassungsrechtlichen Entwicklung Württembergs von 1920 bis 1933 (S. 183-204). In diesem Zusammenhang befasst sich v. Erdmann mit der näheren Ausgestaltung des Referendums durch ein Gesetz vom 19. 9. 1923 über Volksbegehren und Volksabstimmung, mit der Verwaltungsreform, dem Kirchengesetz von 1924 sowie mit dem Beamten- und Fideikommissgesetz. Die „relativ problemlos(e)“ Ausschaltung der Verfassung durch den Nationalsozialismus insbesondere durch das Ermächtigungsgesetz vom 20. 6. 1933 ist Gegenstand des Abschnitts über die Verfassung von 1933 bis 1945 (S. 205ff.). Im Folgenden weist v. Erdmann nach, dass die Verfassung von 1919 „materiell den Grundstein“ der Verfassungen der Länder Württemberg-Baden von 1946 und von Württemberg-Hohenzollern von 1947 besonders hinsichtlich der Staatsorganisation bildet (S. 218-242). Nach einem Resümee, das die Ergebnisse der Untersuchungen zusammenfasst (S. 248ff.), folgt die Wiedergabe der beiden Verfassungen von 1919 und der Ausführungsgesetze (S. 219ff.). Insgesamt vermisst der Leser Hinweise darauf, inwieweit noch unveröffentlichte Materialien zu den Verfassungen von 1919 vorliegen (vgl. S. 22f.). Zu kurz kommt mitunter im Text eine Erörterung von kontroversen Standpunkten der Regierung und der Parlamentarier in den Ausschuss- und Parlamentsberatungen (vgl. u. a. Fn. 300 S. 111 und Fn. 321 S. 116). Alles in allem hat v. Erdmann einen wichtigen Teil der Rechtsgeschichte Württembergs für die Zeit der Weimarer Republik erschlossen, die ergänzt werden sollte durch Darstellungen der grundlegenden Gesetze Württembergs aus der Zeit der Weimarer Republik.

 

Kiel

Werner Schubert