Dörr, Christin, Vom Konzessionszwang zum Normativrecht. Eine Auswertung von Aktienbanksatzungen hinsichtlich aufsichtsrechtlicher Aspekte (= Europäische Hochschulschriften 2, 5490. Lang, Frankfurt am Main 2013. XXIV, 185 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Entsprechend dem Untertitel der an der Universität Frankfurt am Main entstandenen Dissertation von Christin Dörrs geht es um die Auswertung von Aktienbankstatuten hinsichtlich der Aufsicht durch den Staat oder durch den seit 1870 obligatorischen Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Grundlage der Untersuchungen sind Statuten von Bankaktiengesellschaften nach bestimmten Kriterien (S. 11ff., 73ff.): Gründungsort und Gründungszeitpunkt, Gründungszweck, Einzahlung des Aktienkapitals, Bereithaltung des Reservefonds, Auflagen und Konzessionen, Eingriffs- und Aufsichtsrechte des Staates und Bezugsrecht der Gründer. Nach Klärung zentraler Begriffe (S. 19ff.) behandelt Dörr die Entwicklung des Bankensektors im 19. Jahrhundert, und zwar auch hinsichtlich der Hypothekenbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sowie die aktienrechtliche Gesetzeslage nach dem Aktienrecht vor 1870, der Novelle von 1870, die den Konzessionszwang abschaffte, und nach der Aktienrechtsnovelle von 1884 (S. 43ff.). Das Quellenmaterial bilden veröffentlichte oder archivalisch überlieferte Satzungen von Banken mit einem Gründungszeitpunkt vor 1870 und danach, wobei den Notenbanken besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird (S. XXIIff., 14ff.). Entsprechend der Zielsetzung der Untersuchungen – Existenz einer staatlichen Aufsicht von privaten Kreditinstituten und Gläubigerschutz im Besonderen – hat Dörr Hypothesen aufgestellt, die anhand einer Analyse der Statuten überprüft (S. 79ff.).

 

Im Einzelnen kommt Dörr zu folgenden Ergebnissen: Der Konzessionszwang ermöglichte dem Staat „ein unterschiedlich ausgestaltetes Oberaufsichts- und Mitspracherecht bei den Banken“ (S. 184). Allerdings war ein Publikums- und Gläubigerschutz hinsichtlich des eingezahlten Kapitals „fragwürdig“ (S. 176). Strengeren Kriterien unterlagen nur die Notenbanken. Mit der Aktienrechtsnovelle von 1870 fielen die Eingriffsrechte des Staates weg, so dass lediglich die Möglichkeit bestand, durch „Gesetzesänderungen auf die Unternehmen Einfluss zu nehmen“ (S. 179). Interessenkonflikte konnten dadurch entstehen, dass Mitglieder des Aufsichtsrats gleichzeitig Mitglieder des Aufsichtsrats oder Verwaltungsrats sein konnten (seit 1884 zum Teil ausgeschlossen). Als weiteres Ergebnis ist festzuhalten, dass die auch bereits in den Satzungen angelegten Teileinzahlungen des Aktienkapitals (Ausnahmen für Notenbanken) zu einer Unterkapitalisierung führten, die den Gläubigerschutz negativ beeinflussen konnten (S. 179f.). Allerdings war zu keiner Zeit nach den ausgewerteten Satzungen die Ausgabe von Aktien unter pari erlaubt (S. 181). Bei den meisten Banken war das Bezugsrecht bereits vor 1870 an einen Aktienbesitz geknüpft. Der Reservefonds, der seit 1884 obligatorisch war, brachte den Gläubigern oder den Aktionären grundsätzlich keinen „zusätzlichen Schutz“ (S. 183). Im Resümee (S. 184f.) stellt Dörr fest, dass nach den ausgewerteten Satzungen im Vergleich zur jeweiligen Gesetzeslage die Banken ein „Mehr an Aufsichts- bzw. Gläubigerschutzmaßnahmen“ in der Regel nicht vornahmen (S. 185). Nicht untersucht hat Dörr die „Durchführung der Gesetze und inneren Verfassungen durch entsprechende Urteile“, was in einem „anderen Zusammenhang“ erfolgen soll (S. 11). Nicht ganz unproblematisch erscheint die Entscheidung Dörrs, grundsätzlich nur die Gründungssatzungen auszuwerten (Ausnahme, soweit ersichtlich, für zwei Lübecker Banken, einer Hamburger Bank und die Deutsche Bank) und nicht auch die eventuell seit 1870 und 1884 vorgenommenen Satzungsänderungen von Aktienbanken.

 

Insgesamt erweitert Dörr mit ihrem Werk die insoweit weniger detailliert angelegten Untersuchungen Landwehrs (ZGR GA 1982, 1ff.) die Kenntnisse über die Verfassungen preußischer Aktiengesellschaften und die Kenntnisse über die aufsichtsrechtlichen Aspekte speziell in den Statuten von Bankaktiengesellschaften. Von Interesse wären weitere Untersuchungen von Aktienbankstatuten aus der Zeit nach Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs von 1898 bis zum Inkrafttreten des Aktiengesetzes von 1937.

 

Kiel

Werner Schubert