Bullinger, Ruth Elisabeth, Belastet oder entlastet? Dachauer Frauen im Entnazifizierungsverfahren (= Dachauer Diskurse 7). Utz, München 2012. 155 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Seit September 1919 überzeugte der berufslose Österreicher Adolf Hitler in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei mehr und mehr deutsche Wähler und Wählerinnen von der von ihm vertretenen Politik, so dass sie aus unterschiedlichen Gründen in so großer Zahl für ihn stimmten, dass der Reichspräsident des Deutschen Reiches am 30. Januar 1933 ihm das Amt des Reichskanzlers übertrug. Als er in der Aussichtlosigkeit des von ihm gewünschten zweiten Weltkriegs seinem Leben selbst ein Ende setzte, stellte sich die Frage, wie mit den Millionen der von ihm nationalsozialistisch geformten Männern und Frauen umzugehen sei. Einen Teilbereich dieser Entnazifizierung untersucht die 1978 geborene, schon als Studentin als freie Mitarbeiterin des Jugendgästehauses Dachau tätige, in Germanistik und Geschichte in München ausgebildete und danach als Studienrätin in Fürstenfeldbruck tätige Verfasserin.

 

Sie gliedert ihre aufschlussreiche, sorgfältige Studie in eine Einführung über Entnazifizierung als Experiment, Untersuchungsgegenstand, Fragestellung, Methode, Quellen und Aufbau und zwei Teile über Einblicke in die Entnazifizierung Dachaus und Dachauer Frauen vor der Spruchkammer. Dabei weist sie vor allem auch darauf hin, dass nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus zwar die Entnazifizierung überwiegend bejaht wurde, dass sich ihr aber zahlreiche unterschiedliche tatsächliche Hindernisse in den Weg stellten, so dass schließlich ein breites Interesse an einem baldmöglichsten Abschluss erwuchs. Zwar waren bis Mitte Juli 1945 allein in Bayern 70000 Nationalsozialisten verhaftet und interniert und wurden insgesamt 3,6 Millionen Fälle erfasst, doch wurden im Ergebnis nur 1667 Menschen als Hauptschuldige, 23060 als Belastete, 150425 als Minderbelastete , 1500874 als Mitläufer und 1213873 als Entlastete eingestuft.

 

Die von der Verfasserin in diesem Rahmen ausgewählte Gruppe Dachauer Frauen umfasst 303 Frauen, die zwischen 1946 und 1950 einer eingehenderen Überprüfung unterzogen wurden. Auf Grund der weitgehend erhaltenen Akten erweisen sich zahlreiche neue Einzelerkenntnisse als möglich. Dabei zeigt sich etwa, dass die wenigen betroffenen Frauen in Dachau von der Spruchkammer meist in die Gruppe der Mitläufer eingereiht wurden, nur Anna Wächter wegen ihrer Vergehen gegen Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau als hauptschuldig verurteilt wurde, sich viele Dachauer Frauen auch angesichts ihres teilweise sozialen Engagements während dieser Zeit ungerecht behandelt fühlten und die Gräueltaten im Konzentrationslager bereits in einem frühen Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und Verantwortung ausgeblendet wurden.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler