Bosse, Heinrich, Bildungsrevolution 1770-1830, hg. mit einem Gespräch v. Ghanbari, Nacim. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012. 396 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Dass viele Lebewesen ihr Leben nicht nur mit Instinkten meistern, sondern oft auch Erfahrung nutzen können und nutzen, liegt auf der Hand. Ebenso wenig lässt sich angesichts der gesamten Entwicklungsgeschichte bezweifeln, dass der ausschließliche Erwerb von Wissen durch eigene Erfahrung mehr Zeit und Aufwand erfordert als die Vermittlung von Wissen durch bereits Wissende, seien es nur Ältere, seien es auch Routiniertere. Das schließt freilich eine Gegenmeinung nicht grundsätzlich aus.

 

Mit ihr hat sich der 1937 in Riga in Lettland geborene, in Germanistik, Geschichte und Anglistik in Göttingen, Exeter/England und Berlin ausgebildete, nach Tätigkeiten in Finnland und Kanada bis 2002 in Freiburg im Breisgau als akademischer Rat wirkende Verfasser zeitlebens befasst. Ihn hat vor allem die Frage interessiert, warum gegen 1800 das eigene Lernen besonders ansprechend erscheint. Seine diesbezüglichen einzelnen Untersuchungen hat die von 1999 bis 2004 in Konstanz und Hannover Germanistik, Geschichte und Philosophie studierende, seit 2009 in Siegen wirkende Nacim Ghanbari in einem Sammelband zusammengestellt.

 

Danach ist das eigene Lernen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert deswegen für Schüler interessant, weil bei Beseitigung der ständischen Schranken eigene Schulung sozialen Aufstieg eröffnet und der selbst bestimmte und damit lebenslang selbst lernende Forscher dadurch zum sozialen Leitbild werden kann. Allerdings ist dieser lernenden Freiheit kein durchschlagender Erfolg beschieden. Nach dem Verfasser sind es vor allem Staatsbedienstete in Ministerien, Universitäten und Schulen, die nicht nur aus altruistischen Motiven, sondern auch zur Gewinnung und Sicherung vin Macht über andere Menschen das Lernen im Zuge der Verstaatlichung des Bildungswesens strikt regulieren, so dass der unkoordinierte und schwache Versuch einer Bildungsrevolution durch Überzeugung bereits nach ziemlich kurzer Zeit im Keim erstickt und die professionelle und grtundsätzlich entgeltliche Wissensvermittlung durch Lehrer und Professoren ihren Vorrang im Sinne eines praktisch weitgehenden und kaum angreifbaren Monopols behält und bis zur Gegenwart weiter vertieft.

 

Innsbruck                                            Gerhard Köbler