Baum, Gerhart,
Meine Wut ist jung. Bilanz eines politischen Lebens im Gespräch mit Matthias
Franck. Kösel-Verlag, München 2012. 159 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Obwohl sich die Dimension Zeit von ihrem Anfang an bis
zur Gegenwart allem Anschein nach nicht wesentlich verändert hat, wandelt sich
doch das Verhältnis des Menschen zu ihr seit der jüngsten Vergangenheit
sichtlich. Mit Hilfe der Elektrizität ist die weltweite Übermittlung von
Gedanken eine Selbverständlichkeit geworden. Meinungsmacher und
Meinungsforscher ermitteln zwar noch nicht sekündlich, aber doch bereits
wöchentlich die Akzeptanz der Vertreter der Politik in der Öffentlichkeit, so
dass die lange Dauer zur Ausnahme und der rasche Wechsel zur kaum noch
vermeidbaren Regel wird.
Gerhart Baum wurde in Dresden 1932 als Sohn eines später
in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verstorbenen Rechtsanwalts, dessen Vater
ebenfalls bereits als Rechtsanwalt gewirkt hatte, geboren und floh nach der
Bombardierung Dresdens mit seiner Mutter zunächst an den Tegernsee, von wo aus
die Familie nach Köln zog. Dort wurde er nach dem Studium der
Rechtswissenschaft 1961 Rechtsanwalt und von 1962 bis 1972 Mitglied der
Geschäftsführung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Seit 1954 Mitglied der Freien Demokratischen
Partei wurde er nach dem Einzug in den Bundestag Deutschlands über die
Landesliste Nordrhein-Westfalen 1972 parlamentarischer Staatssekretär bei dem
Bundesminister des Inneren und 1978 Bundesminister des Inneren, trat aber 1982
mit dem Wechsel der FDP von der sozialliberalen Koalition zur
konservativ-liberalen Koalition von seinem Amt zurück und wurde zunächst für
die Vereinten Nationen und danach wieder als Rechtsanwalt tätig.
Aus Anlass seines 80. Geburtstags zieht der sich als
leidenschaftlicher Sozialliberaler verstehende Verfasser im Gespräch eine
politische Bilanz. Sie plädiert einigermaßen allgemein für ein rundum liberales
Lebensgefühl, das vor allem bei dem Schutz von Grundrechten gegenüber anderen
konkreter wird, und durchaus auch freiheitsbeschränkende Züge annehmen kann. Ob
dies auf Dauer gegenüber dem allgemeinen Vergessen in einer schnelllebigen Zeit
genügen wird, ist trotz der bewussten Erinnerungskultur fraglich.
Innsbruck Gerhard Köbler