Bachmann, Klaus,
Vergeltung, Strafe, Amnestie - eine vergleichende Studie zu Kollaboration und ihrer
Aufarbeitung in Belgien, Polen und den Niederlanden (= Studies in Political Transition
1). Lang, Frankfurt am Main 2011. 370. S. Besprochen von Gerhard Köbler.
In Auseinandersetzungen zwischen Menschen kann es leicht
zur Besetzung des Gebietes einer Gruppe durch eine andere Gruppe kommen. Dann
stellt sich die Frage der Gestaltung der Beziehungen zwischen den Angehörigen
der einen Gruppe zu den Angehörigen der anderen Gruppe. Das weite Feld der
Möglichkeiten reicht von einem vollständigen Widerstand bis zur gänzlichen
Verschmelzung und schließt darin die Kollaboration Einzelner mit den von den
Übrigen weiterhin als Feinde angesehenen Gegnern ein.
Mit konkreten Einzelfragen der jüngeren europäischen
Geschichte befasst sich das vorliegende Werk des in Bruchsal 1963 geborenen,
nach dem Studien der Geschichte Osteuropas und slawischer Sprachen an den
Universitäten Heidelberg, Wien und Krakau 1988 nach Polen gezogenen, im Jahre
2000 an der Universität Warschau mit einer Dissertation über den
polnisch-ukrainischen Gegensatz in Galizien zwischen 1907 und 1914 promovierten
Verfassers, der 2004 nach journalistischen Tätigkeiten in Nordwestmitteleuropa
an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Breslau habilitiert
wurde. Seine Untersuchung gliedert sich nach einer allgemeinen Einleitung über
kollektive Säuberungs- und Trennungsrituale, Übergangsjustiz, Kollaboration,
Judenmord und Widerstand sowie Totalitarismus in drei Abschnitte. Sie betreffen
in dieser Reihenfolge Belgien, Polen und die Niederlande.
Im Ergebnis seiner langjährigen Ermittlungen erkennt er am
Übergang von einer Besetzung zu einer neuen politischen Ordnung spontane
Gewaltakte mit Ritualcharakter (wilde Säuberungen) zwecks Beendigung der
Vergangenheit, Ausstoßung „böser“ Gesellschaftsmitglieder und Festigung des
positiven Selbstbilds der verbleibenden Gesellschaft, die er den übrigen
Möglichkeiten wertend gegenüberstellt. Im Nachhinein scheint ihm dabei die
niederländische Konfliktlösung der oberflächlichen, aber spektakulären
Abrechnung am effektivsten. Eine begrenzte Zahl von Hinrichtungen prominenter
Kollaborateure ermöglichte die angestrebte symbolische Distanzierung von der
Kollaboration mit den Besatzern aus Deutschland, während im Übrigen die
schnelle Wiedereingliederung der meisten Kollaborateure unter Verzicht auf
vollständige Aufarbeitung und Strafverfolgung die innergesellschaftliche
Versöhnung und die politische Stabilität bewirkte.
Innsbruck Gerhard Köbler