Zwalve, Willem Jans/Sirks, Boudewin, Grundzüge der europäischen Privatrechtsgeschichte. Einführung und Sachenrecht. Böhlau, Köln 2012. 537 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Privatrecht in Europa hat von seinen ersten Anfängen an eine sehr lange und vielfältige Geschichte, unabhängig davon, dass es erst ziemlich spät als eine gedankliche Einheit erkannt worden ist. Mit der technisch-wirtschaftlichen Verdichtung stellt sich auch die Frage nach einer möglichen rechtlichen Zusammenfassung. Hierfür liefert die vorliegende gewichtige Veröffentlichung einen gedankenreichen, wertvollen Beitrag.

 

Sein erster und hauptsächlicher Verfasser ist literarisch erstmals 1981 hervorgetreten, als er in Groningen mit einer Untersuchung über die Stellung des Magistrats im römischen Zivilprozessrecht promoviert wurde. Dem ließ er vor allem 1993 ein großes Werk mit dem Titel Hoofdstukken uit de Geschiedenis van het  Europese Privatreecht I Inleiding en Zakenrecht folgen. Den dazu vielfach geäußerten Wunsch nach einer deutschen Übersetzung konnte der in Leiden als Professor für Rechtsgeschichte und in Groningen als Professor für angloamerikanisches Vermögensrecht tätige Verfasser nach langen Jahren verwirklichen, als ihm der in Oxford derzeit als Regius Professor für Civil Law wirkende Boudewin Sirks zuverlässig und sachkundig transferierend zur Seite trat.

 

Feste, durch dreißigjährige Unterrichtserfahrung bestätigte Überzeugung des Verfassers war es dabei von Anfang an, dass das Privatrecht der westeuropäischen Länder (einschließlich Deutschlands) nur auf der Grundlage des europäischen ius commune verstanden werden kann. Zwar lässt sich im herkömmlichen positivrechtlichen Unterricht die Kenntnis des geltenden Rechtes gewinnen, für das tiefere Verständnis ist aber die historisch-komparative  Methode unabdingbar. Dafür liefert der Verfasser in seinem Werk ein vorzügliches Beispiel.

 

Gegliedert ist seine Darstellung in insgesamt vier Abschnitte. Sie beginnen als Einführung mit einer kurzen Geschichte („Kurzgeschichte“) des europäischen Privatrechts, für die ius commune und ius proprium die Ausgangspunkte sind. Danach schildert der Verfasser den Umfang der Rezeption in Italien, Frankreich, den deutschen Gebieten, Holland, Schottland, Spanien und Portugal sowie England, wobei er als Natur und Elemente des ius commune kanonisches Recht, Lehnsrecht, die Natur des gemeinen Rechts und ius gentium unterscheidet. Danach stellt er die Nationalkodifikationen vor und legt den Zweck seines Werkes dar.

 

Auf dieser geschichtlichen Grundlage wendet er sich seinen drei sachlichen Kapiteln zu. Sie betreffen Eigentum und Besitz, Übereignung und Sicherungsrechte. Dabei bildet der Verfasser jeweils vier Untereinheiten.

 

Er beginnt jeweils mit dem gemeinen Recht. Hieran schließt er als erstes den holländischen Gegebenheiten folgend das französische Recht an. Danach wird das deutsche Recht dargelegt und mit dem Common Law der Abschluss gewonnen.

 

Insgesamt sind auf diese Weise wohl die wichtigsten europäischen Entwicklungslinien erfasst. Wer sie zumindest im Grundzug, nach Möglichkeit aber auch in darüber hinausreichenden Einzelheiten verstehen kann, wird die wichtigsten sachenrechtlichen Fragen und ihre unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten kennengelernt haben. Gerichtet ist dabei das Werk in erster Linie an die Studierenden des europäischen Privatrechts, der privatrechtlichen Rechtsvergleichung und der Privatrechtsgeschichte, doch will und kann es auch dem interessierten praktizierenden Juristen hilfreich sein.

 

Wie die weitere Entwicklung des europäischen Pivatrechts in der nahen Zukunft der Europäischen Union aussehen wird, vermag derzeit niemand sicher vorherzusehen. Vielleicht erzwingen ja technisch-wirtschaftlicher Fortschritt bald eine Vereinheitlichung zumindest eines optionalen europäischen Sachenrechts. Für dessen Gestaltung könnte das mit einem Quellenverzeichnis und einem Sachverzeichnis sowie zahlreichen Fußnoten ausgestattete Werk des Verfassers eine sehr große Hilfe sein.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler