Vom Diener des Fürsten zum Diener des Rechts. Zur Stellung des Richters im 19. Jahrhundert = Del servicio al Rey al servicio de la Justicia - el cargo de juez en el siglo decimonónico, hg. v. Czeguhn, Ignascio/Sanchéz Aranda, Antonio (= Edition Rechtskultur - Schriften zur europäischen Justizgeschichte im 19. Jahrhundert). Gietl, Regenstauf 2011. 137 S. Besprochen von Reinhard Schartl.

 

Der 2008 gegründete Forschungsverbund zur Europäischen Justizgeschichte richtete am 26./27. November 2009 an der juristischen Fakultät der Universität Granada einen Kongress unter dem Titel „Justizverwaltung und Judikative in Europa 1808-1871“ aus, bei dem der größte Teil der in dem zu besprechenden Band teils in Deutsch, teils in Englisch und Spanisch publizierten Beiträge als Vorträge gehalten wurde. Martin Löhnig stellt in dem Beitrag „Zur Stellung des Richters im Frühkonstitutionalismus“ die Entwicklung der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit des Richters in den Königreichen Bayern und Württemberg sowie im Großherzogtum Baden im beginnenden 19. Jahrhundert dar. Sie wurde nicht nur durch die französischen Verfassungen beeinflusst, die schon 1791 und 1799 die Unabsetzbarkeit der Richter anordneten, sondern auch durch die Einschränkung der beliebigen Entlassung in der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung. In Bayern wurde sodann 1805 bestimmt, dass der Richter nur unter Beibehaltung seiner Dienstbezüge in den Ruhestand versetzt werden konnte. Die sachliche Unabhängigkeit regelten – was nach Ansicht des Verfassers in der Literatur nicht ausreichend gewürdigt wird – bereits die bayerischen Verfassungen von 1808 und 1818, indem sie außerhalb des Gnadenerweises Eingriffe des Königs ausschlossen. In Baden entsprach der Verfassungsentwurf von 1808 nahezu der bayerischen Lösung. Die erst 1818 in Kraft getretene Verfassung garantierte die persönliche Unabhängigkeit selbst nicht, sie findet sich aber in einem Constitutionsedict. Die württembergische Verfassung von 1819 sah im Anschluss an bis 1815 zurückreichende Entwürfe die sachliche Unabhängigkeit der Gerichte vor. Ihre Urteile sollten keiner königlichen Bestätigung bedürfen, während die Eingriffsbefugnisse des Königs weiterreichten als in Bayern und Baden. Insgesamt sieht Löhnig in den süddeutschen Verfassungen nicht nur eine Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit, er hebt auch einen Schutz vor richterlicher Willkür durch die in den bayerischen Verfassungen niedergelegte Pflicht zur Begründung der Endurteile hervor. Lukas Gschwend und Matthias Kradolfer beschreiben „Die Entwicklung der Unabhängigkeit des Richters in der Schweiz 1798-1848“. Während der Periode der Helvetischen Republik (1798-1803) sah die erste Verfassung (1798) bereits ein dreistufiges Gerichtssystem vor, jedoch konnten die Richter trotz gewaltenteiliger Strukturen von der Zentralregierung abgesetzt werden. Nachdem die Mediationsakte 1803 den neugeschaffenen Kantonen mehr Kompetenzen eingeräumt hatte, bestimmten deren Verfassungen zwar gleichfalls eine Gewaltenteilung durch eine grundsätzliche Trennung von Verwaltung und Justiz. Die Verfasser sehen aber, dass persönliche Unvereinbarkeiten nicht vermieden wurden. Neben restaurativen Bestrebungen setzte ab 1815 eine Modernisierungswelle ein, die seit 1829 dazu führte, dass Ideale der Helvetik wieder aufgegriffen wurden. So proklamierten die Kantonsverfassungen die Unabhängigkeit der Justiz, teilweise verboten sie die Einmischung der Regierung in Gerichtsverfahren und regelten die Richterwahl durch demokratische Organe. Den Autoren fällt aber ebenso auf, dass nach wie vor keine Zugangsvoraussetzungen zum Richteramt hinsichtlich juristischer Ausbildung bestanden. Miguel Ángel Morales Payán, „Los alcaldes al servicio de la justicia decimonónica: una propuesta discutida“ untersucht das Amt des Alkalden als erstinstanzlichen Richters in Spanien und die Probleme der Justiz im frühen 19. Jahrhundert. Antonio Sánchez Aranda befasst sich in dem Beitrag „The English Habeas Corpus or the Aragonese Manifestación de Personas? The procedural Model to guarantee the fundamental Right of personal Liberty in the Spanish Constitution of 1812” mit der Entwicklung des Rechts auf persönliche Freiheit in Spanien. Trotz des auf das englische Recht hinweisenden Ursprungs des Rechts wurde in Spanien die eigene, auf der sogenannten manifestación de personas des Königreichs Aragon beruhende Tradition nicht verkannt, die bis ins späte Mittelalter zurückreicht. Kern der Regelung war, dass der Verhaftete das Recht auf eine Entscheidung durch den unabhängigen und unabsetzbaren Justicia Mayor (Hofrichter) hatte. Nachdem Philipp V. 1707 sowohl die manifestación als auch das Amt des Justicia Mayor aufgehoben hatte, wurde die Freiheitsgarantie bei der Schaffung der spanischen Verfassung 1812 wieder aufgegriffen, allerdings nach französischem Vorbild konzipiert, während sich die gegenwärtige aus dem Jahr 1984 stammende gesetzliche Regelung in einem Vorspruch wiederum auf die Wurzeln im spanischen Recht bis zurück zur manifestación de personas und zum Fuero de Vizcaya beruft. Ricardo Gómez Rivero, „Appointing of magistrates in Spain in the first half of the nineteenth Century” erläutert die verschiedenen Verfahren zur Auswahl der Richter dieses Zeitraums. Zwar wurden die Richter vom König bestimmt, jedoch gingen dem teilweise Konsultationen oder Vorschläge (sogenannte ternas, das heißt Listen mit drei Vorschlägen) sachkundiger Organe, nämlich der Kammer von Kastilien, zeitweise aufgrund der Verfassung von 1812 des Staatsrats oder – nach dem Tode Ferdinands VII. 1833 – des Ausschusses für Gnade und Justiz, später des Ministers für Gnade und Justiz voraus. Die Verfassung von 1812 statuierte als Voraussetzungen ein Mindestalter von 25 Jahren und eine Geburt auf spanischem Hoheitsgebiet. In der Folgezeit kamen weitere Anforderungen hinzu. Teilweise gab es auch unmittelbare Richterernennungen durch königliches Dekret, nach Auswertung des Autors allerdings in geringerer Zahl. Die Verfassungen von 1837 und 1845 sahen die Unversetzbarkeit und grundsätzliche Unabsetzbarkeit der Richter vor, zudem regelten königliche Anordnungen, dass zu Staatsanwälten und Richtern in allen Instanzen nur Personen mit im Einzelnen unterschiedlich langer Berufserfahrung ernannt werden sollten. Mareike Preisner referiert in ihrem Beitrag „Grundlinien der deutschen Schwurgerichtsbarkeit“ den Zustand der Strafgerichtsverfassung und des Verfahrens nach den Reichsjustizgesetzen im Hinblick auf die Beteiligung von Laien in den Schöffengerichten und insbesondere im Schwurgericht. Das Schöffengericht war der Regelspruchkörper des Amtsgerichts, über die Berufung entschied die Strafkammer des Landgerichts ohne Schöffen mit (ausgenommen Übertretungen und Privatklagesachen) fünf Berufsrichtern, ebenso der Strafsenat des Oberlandesgerichts als Revisionsinstanz. Im Schwurgericht hatte die aus zwölf männlichen Personen bestehende Geschworenenbank – insoweit im Unterschied zu den Schöffen – nur über die Schuldfrage und ohne Mitwirkung der drei Berufsrichter, denen die Strafzumessung vorbehalten war, zu entscheiden. Zuständig war das Schwurgericht außer für Kapitalverbrechen unter anderem auch für Brandstiftung, Raub und – soweit das Landesrecht dies bereits vorsah – für Pressedelikte. Die Auswahl der Geschworenen erfolgte aufgrund einer vom Wahlausschuss des Amtsgerichts auf der Grundlage einer gemeindlichen Urliste erstellten Vorschlagsliste, aus der wiederum ein berufsrichterlicher Ausschuss beim Landgericht Jahreslisten für Haupt- und Hilfsgeschworene bildete. Aus der Hauptgeschworenenliste wurde vor Beginn der Sitzungsperiode eine Spruchliste mit 30 Personen ausgelost. Von diesen konnten Verteidigung und Staatanwaltschaft so viele ablehnen, bis mindestens noch zwölf Personen übrigblieben. Diese in der Hauptverhandlung vereidigten Geschworenen berieten aufgrund eines nach der Beweisaufnahme und den Plädoyers verlesenen Fragenkatalogs und einer vom Vorsitzenden erteilten Rechtsbelehrung ohne Beweiswürdigung. Hatten sich die Geschworenen nach einstimmiger Ansicht der Berufsrichter zu Lasten des Angeklagten geirrt, wurde ihr Spruch durch die Kammer kassiert, was eine neue Hauptverhandlung zur Folge hatte. Über die gegen das Schwurgerichtsurteil allein zulässige Revision entschied ein Strafsenat des Reichsgerichts mit sieben Berufsrichtern. Mit der Entstehung der Schwurgerichte in Spanien befasst sich der Aufsatz José Antonio Pérez Juans „Legal Framework for the Jury in the First Spanish Constitution“. Nachdem die liberale Verfassung von 1812 die Cortes ermächtigt hatte, neben Richtern, wenn es sachgerecht erscheine, auch Geschworene zuzulassen, kam es nach der Rückkehr des absolutistischen Ferdinand VII. 1814 erst mit Beginn des sogenannten Trienniums (1820-1823) zur Einsetzung von Geschworenengerichten, allerdings beschränkt auf Pressevergehen. Pérez Juan stellt die in der Cortes darüber geführte Debatte dar, wobei ein Hauptargument gegen die Beteiligung von Geschworenen war, dass Zweifel an der Fähigkeit von Laienrichtern angeführt wurden, in einer solch speziellen Materie zu urteilen. Das Gesetz sah dann zunächst ein Verfahren vor dem Bürgermeister vor, bei dem neun Geschworene über die Zulassung der Anklage entschieden. Die Hauptverhandlung fand vor dem örtlichen Gericht mit zwölf Geschworenen statt. Revisionen des Pressegesetzes von 1822 und 1823 beschränkten sich trotz einiger vom Verfasser geschilderten Kritik am Geschworenensystem (Verfahrensverzögerungen, unerwünschte Straflosigkeit) auf Änderungen im Verfahren, wie die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Geschworenen oder Einschränkungen der Befugnis zur Ablehnung von Geschworenen.

 

Bad Nauheim                                                              Reinhard Schartl