Vertriebenes Recht - vertreibendes Recht. Zur Geschichte der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1938 und 1945, hg. v. Meissel, Franz-Stefan/Olechowski, Thomas/Reiter-Zatloukal, Ilse/Schima, Stefan (= Juridicum Spotlight 2). Manz, Wien 2012. XIII, 409 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

2010 erschien im Verlag Manz „Juridicum Spotlight“ als Diskussionsforum der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mit der Anmerkung der jährlichen Erscheinungsweise. Als zugehörige Publikation verzeichnet ein Bibliothekskatalog Armut und Recht mit den beteiligten Personen Richard Potz, Emmerich Tálos, Eva Maria Maier, Thomas Simon und Michael Landau. Dem folgt nunmehr unter einem zum Nachdenken auffordernden gespaltenen Titel eine Sammlung interessanter und weiterführender Studien zur Geschichte der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1938 und 1945, die im Sommersemester 2009 in einer Ringvorlesung vorgetragen wurden.

 

Wie das kurze Vorwort des Dekans präzise ausführt, zwingen die Beiträge geradezu exemplarisch auf, welche dramatischen Verluste die nationalsozialistische Machtübernahme für praktisch alle Fächer in jeder Hinsicht mit sich gebracht hat. Damit wird ein bereits 1988 mittels einer Lehrveranstaltung freigegebener Blick auf Rechtsetzung und Rechtswissenschaft in Österreich unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, der unter dem Titel Nationalsozialismus und Recht veröffentlicht wurde, in beeindruckender Weise fortgesetzt Der neue Band beschreibt einerseits das Leben einzelner Wiener Rechtsgelehrter und erfasst andererseits auch die Studienbedingungen, die allgemeine Lage und die nationalsozialistische Beeinflussung einzelner Rechtsbereiche an diesem Ort zu dieser Zeit.

 

Nach einer Einleitung Stefan Schimas bietet das gehaltvolle Werk insgesamt 15 eindringliche Studien. Sie betreffen die Juristenausbildung in Österreich unter dem NS-Regime (Ilse Reiter-Zatloukal), das römische Recht im Zeichen des Hakenkreuzes mit unterschiedlichen Strategien der Anpassung (Franz Stefan Meissel/Stefan Wedrac), die Rechtsgermanistik zwischen Ideologie und Wirklichkeit (Thomas Olechowski), das Fach Kirchenrecht mit der Spannung zwischen Flüchtling, Mitläufer und Überzeugungstäter (Stefan Schima), Alfred Verdross als möglichen Mann des Widerspruchs (Jürgen Busch, Irmgard Marboe, Gerhard Luf), die Staatsrechtslehre von Adamovich bis Pfeifer (Kamila Staudigl-Ciechowicz), die Vertreibung der Staatswissenschafter Helene Lieser und Johann Sauter (Tamara Ehs), das Zivilrecht an der Universität Wien (Max Leitner), Heinrich Klang zwischen Praxis und Theorie sowie Verfolgung und Rückkehr (Günter Gößler/Martin Niklas), das Zivilverfahrensrecht (Julia Mair), das Strafrecht als einen Brennpunkt im Nationalsozialismus (Karin Bruckmüller/Frank Höpfel) sowie ergänzend Einblicke in die Forschungspraxis am Beispiel der Advokaten des Jahres 1938.. Ein Verzeichnis der Autoren und eine Literaturauswahl runden den das weite Spektrum menschlicher und unmenschlicher Verhaltensweisen am konkreten Beispiel ausleuchtenden, eines Registers entbehrenden, eine wichtige Grundlage für weitere Detailstudien bietenden Band hilfreich ab.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler