The Creation of the Ius Commune. From Casus to Regula. hg. v. Cairns, John W/Plessis, Paul J. du (= Edinburgh Studies in Law 7), Edinburgh University Press, Edinburgh 2010, Neudruck 2012. XIII, 304 S. Besprochen von Gunter Wesener.

 

Im Dezember 2008 fand im Old College eine Tagung statt, organisiert vom Centre for Legal History der Universität Edinburgh und der Edinburgh Roman Law Group. Das Thema der Tagung lautete: „From Casus to Regula: The Creation of the Ius Commune“. Alle Vorträge finden sich in revidierter Fassung im vorliegenden Band. Neben dem römischen Recht wurden kanonisches Recht sowie Feudalrecht entsprechend berücksichtigt. Die Entwicklung von der kasuistischen Jurisprudenz zur mittelalterlichen Rechtsdoktrin sollte aufgezeigt und bewertet werden. Dies ist den Verfassern in hohem Maße gelungen. Einen Ausgangspunkt bildete die Monographie von Peter Stein, Regulae Iuris. From Juristic Rules to Legal Maxims (Edinburgh 1966).

 

Eine vorzügliche Einführung in die Quellen und Editionen der mittelalterlichen gelehrten Rechte bietet der Beitrag (S. 7ff.) von Harry Dondorp und Eltjo J H. Schrage. Er beruht weitgehend auf der Darstellung von Schrage (unter Mitwirkung von Dondorp): „Utrumque Ius. Eine Einführung in das Studium der Quellen des mittelalterlichen gelehrten Rechts“ (Berlin 1992).

 

Kees Bezemer untersucht die Infrastruktur des frühen Ius Commune, die Bildung von regulae (S. 57ff.). Das Schwergewicht liegt hierbei auf dem römischen Recht und seinen Interpreten zwischen 1200 und 1400. Der Verfasser sieht die Ausbildung von regulae eng verbunden mit dem Auftreten getrennter Rechtsmaterien (S. 58). Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Doctores ultramontani wie Jacques de Révigny und Pierre de Belleperche (S. 60ff.), sowie Dinus de Mugello († 1303?) mit seinem Traktat de regulis iuris. Die ultramontane Methode stand unter dem Einfluss der französischen Scholastik und zeigte eine Neigung zur Systematisierung.

 

James Gordley widmet seinen Beitrag Ius Quaerens Intellectum (S. 77ff.) der Methode der mittelalterlichen Legisten (Civilians). Er hebt die Unterschiede zwischen den Methoden der römischen und der mittelalterlichen Juristen hervor. Für Letztere waren Ausgangspunkt die Texte des Corpus Iuris Civilis; ihre Entscheidungen gründeten sich auf die Autorität derselben. Zutreffend weist der Verfasser (S. 80ff., insbes. S. 87f.) darauf hin, dass es zur Anwendung der Analogie kam. Bereits Artur Steinwenter hat in seiner grundlegenden Untersuchung „Prolegomena zu einer Geschichte der Analogie“ (Festschrift F. Schulz, II, Weimar 1951, S. 345-363) gezeigt, dass sich bei den Glossatoren die Lehre vom trahere bzw. procedere de similibus ad similia (entnommen aus Dig. 1.3.12 und 27) findet. Diese Lehre der Glosse von der extensio legis wurde dann von den Kommentatoren nach den Regeln der Scholastik im Wege von Distinktionen und Definitionen erweitert und zur Interpretationslehre des Mos Italicus ausgebaut (Steinwenter, Prolegomena, S. 350).

 

Laurent L. J. M. Waelkens befasst sich in seinem Beitrag (S. 103ff.) mit dem mittelalterlichen Familien- und Eherecht, mit der Entwicklung von Statusklagen zur Rechtsdoktrin. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde das Eherecht von den Kanonisten in ein wissenschaftliches System gebracht. Maßgeblich waren hierfür die Sententiae des Petrus Lombardus, Bischofs von Paris (1158-1160).

 

Höchst instruktiv ist der Beitrag von Thomas Rüfner (S. 127ff.) über den römischen Eigentumsbegriff und die mittelalterliche Lehre vom dominium utile. Dargestellt werden die Lehre des Odofredus vom duplex dominium, die Auffassung des kanonischen Rechts, die Synthese Albericus de Rosate’s. Schließlich wird Bartolus’ Lehre dargelegt. Im Wege von Distinktionen wird das duplex dominium (dominium directum und dominium utile) mit dem römischrechtlichen Satz duo non possunt habere dominium eiusdem rei in solidum (Dig. 13.6.5.15) in Einklang gebracht.

 

Magnus Ryan befasst sich mit der Nachfolge in Lehen; er stellt die Frage nach einem Ius Commune Feudorum (S. 143ff.). Die Unterscheidung zwischen natura feudi und rectum feudum wird dargelegt (S. 154ff.).

 

Das mittelalterliche Recht der Hypothek behandelt der Beitrag von Paul J du Plessis (S. 159ff.). Gegenstand der Erörterungen der gelehrten Juristen des Mittelalters war vor allem die verschiedene pfandrechtliche Behandlung der eingebrachten Sachen (invecta et illata) bei städtischen und ländlichen Miet- bzw. Pachtverhältnissen (Dig. 20.2.4; Cod. 4.65.5).

 

Sehr eingehend befasst sich Jan Hallebeek mit der Haftung eines sich in Unkenntnis befindlichen Verkäufers für verborgene Mängel (S. 175ff.). Vom justinianischen Recht ausgehend werden die Meinungen der Glossatoren, der Doctores ultramontani und der Kommentatoren dargelegt. Die Anwendbarkeit der verschiedenen in Betracht kommenden Klagen, actio quanti minoris, actio redhibitoria und actio empti, sowie deren Verhältnis zueinander, werden erörtert.

 

Wolfgang Ernst behandelt das Recht des Geldes, der Währung, in der Glossatorenzeit (S. 219 ff.), Richard H Helmholz das Verfahrensrecht des Ius Commune (S. 247 ff.), insbesondere das Institut der Ladung, und James A Brundage Klagen zur Eintreibung von Anwaltsgebühren (S. 277ff.).

 

Das vorliegende Sammelwerk bietet einen sehr guten Einblick in die Entwicklung der „gelehrten Rechte“ im Mittelalter. In den oberitalienischen und südfranzösischen Rechtsschulen war eine Rechtsdoktrin entstanden, welche die Grundlage für die Rezeption des römisch-kanonischen Rechts, des ius commune, bildete, zugleich Basis der Lehren des Usus modernus pandectarum wurde (vgl. etwa Wolfgang Kunkel, Das römische Recht am Vorabend der Rezeption, in: L’Europa e il diritto romano. Studi in memoria di P. Koschaker, I, Milano 1954, S. 1-20; ders., Das Wesen der Rezeption des römischen Rechts, Heidelberger Jahrbücher 1, 1957, 1-12).

 

Graz                                                                                       Gunter Wesener