Sundhaussen, Holm, Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. Böhlau, Wien 2012. 567 S., Abb., Tab. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Als in den 1990er Jahren die bizarren Verbrechen, die den Zerfall Jugoslawiens begleiteten, ruchbar wurden, zeigte sich Europa über den in diesem Raum nicht mehr für möglich gehaltenen Zivilisationsbruch erschüttert. Und bald hatte man mit dem Diktum von der „balkanischen Grausamkeit“ eine passende Erklärung für das Undenkbare parat.

 

Zu zeigen, wie wenig solche wohlfeilen, aus der Hüfte geschossenen Interpretationen mit der Realität gemein haben, ist nur eine der Korrekturen, die der Südosteuropa-Experte Holm Sundhaussen in seinem neuen Jugoslawien-Buch (eine erste Monographie von ihm, „Geschichte Jugoslawiens 1918-1980“, erschien bereits 1982) an einem spekulativen deterministischen Geschichtsverständnis vornimmt. Er, der fast zwei Jahrzehnte dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin vorgestanden hat, bevor er 2007 in den Ruhestand trat, hat zuletzt mit seiner im selben Jahr publizierten, 2009 ins Serbische übertragenen „Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert“ vor Ort mancherlei Diskussion entflammt. Seinen Kritikern, die ihm unlautere Motive unterstellt oder überhaupt seine Kompetenz, als Deutscher serbische Geschichte zu verstehen, bestritten haben, ist er dabei mit jenen grundsätzlichen Argumenten überzeugend entgegengetreten, die auch das solide Fundament seiner jüngsten Arbeit bilden.

 

Sundhaussen präsentiert die Entwicklung der Geschichte Jugoslawiens insgesamt als einen möglichen Weg unter mehreren gangbaren Alternativen, der sich durch konkrete Einflussnahmen in dieser spezifischen Form realisiert hat und demnach jede a priori gegebene Zwangsläufigkeit ausschließt: „Die Geschichte Jugoslawiens ist ein Lehrstück des Alltäglichen, der Banalität. Nicht in dem Sinn, dass die Ereignisse banal gewesen wären, sondern die Verhaltensweisen, die zu ihnen führten, waren banal. Und so außergewöhnlich uns die Verbrechen während der postjugoslawischen Kriege der 90er-Jahre erscheinen mögen, so gewöhnlich waren die Verantwortlichen und Täter. Man findet sie überall und zu allen Zeiten. In diesem Sinne ist Jugoslawien überall. Die hier erzählte Geschichte zeigt, wie Menschen sich verhalten (können), sobald die Regelwerke versagen, die wir zum Schutz vor uns selber errichtet haben. […] Jugoslawien als eine von vielen Schaubühnen sozialpsychologischer Dynamiken und Dramatiken, als Teil von uns, ist das eine. Jugoslawien als Ergebnis historischer Prozesse das andere. Aber beides gehört zusammen“ (S. 12).

 

Der erste jugoslawische Staat, 1918 aus der Taufe gehoben und bis 1929 als „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“, danach als „Königreich Jugoslawien“ firmierend, wurde im April 1941 zerschlagen. Am 29. November 1943 erklärte sich „das aus der KPJ-geführten Widerstandsbewegung im besetzten und zerstückelten Jugoslawien hervorgegangene ‚Kriegsparlament‘, dem außer Kommunisten auch ‚progressive‘ Politiker aus den bürgerlichen Vorkriegsparteien angehörten, […] mitten im Krieg und unter Missachtung der jugoslawischen Exilregierung in London zum obersten gesetzgebenden und ausführenden Organ im Lande und stellte die Weichen für ein neues Jugoslawien“ (S. 38), in dem „an die Stelle des zentralistischen Systems im ersten Jugoslawien […] nun der ‚zentralistische Föderalismus‘ nach sowjetischem Muster (trat)“ (S. 40). Diesem Staat Titos (bis 1980), der „Föderative(n) Volksrepublik Jugoslawien, ab 1963 „Sozialistische(n) Bundesrepublik Jugoslawien“, die knapp ein halbes Jahrhundert Bestand haben sollte, widmet der Verfasser den ersten Teil seines Werks im Umfang von 270 Druckseiten. Der zweite Teil, 210 Seiten stark, berichtet über die postjugoslawischen Kriege mit dem dritten jugoslawischen Staat, der nur mehr Serbien und Montenegro umfassenden „Bundesrepublik Jugoslawien“ von 1992, ab 2003 Staatenbund und mit dem Unabhängigkeitsvotum Montenegros 2006 von der Bildfläche verschwindend, sowie über die Entwicklung und die gegenwärtige Lage in Kroatien, Serbien, Makedonien, Kosovo und Bosnien.

 

Hauptmerkmal Jugoslawiens war „seine große natürliche, kulturelle und ethnische Vielfalt auf kleinem Raum“, wodurch es „für Leute, die gewohnt sind, systematisch und logisch zu denken, […] mit seinen Verwandlungen und Uneindeutigkeiten eine Provokation dar(stellte)“, Grund für „Faszination“ ebenso wie für „Verletzbarkeit“ (S. 14f.). Dem Konzept einer ethnisch-jugoslawischen Nation des ersten Jugoslawien setzte das zweite Jugoslawien bewusst sein Vielvölkerkonzept entgegen. So ist zu lesen: „Die heute gelegentlich vertretene These, Tito habe sich 1964 vom Jugoslawismus verabschiedet (und damit zugleich auch das Ende Jugoslawiens eingeleitet), ist eine Fata Morgana. Es gibt keine Äußerung Titos […], die sich im Sinne eines nationalen ‚Melting Pots‘ interpretieren ließe […]. Titos Jugoslawismus war von Anfang an und blieb bis zu seinem Tod eine politische und soziale Kategorie, die niemals (ethno-)national konnotiert war. […] Auf die Frage, was eigentlich ein Jugoslawe sei, antwortete Tito 1964: ‚Heute bedeutet dies, Bürger des sozialistischen Jugoslawiens zu sein‘“ (S. 168f.).

 

Das erste unheilvolle Vorpreschen eines von Politikern, Kulturschaffenden und Studenten angeheizten Nationalismus stellten die Unruhen des „Kroatische(n) Frühling(s)“ 1971 dar, bei dem „Missstände, Ineffizienz und Fehlentscheidungen zunehmend durch ein nationales Prisma gedeutet“ wurden und „erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs […] die Solidarität mit der jugoslawischen Gemeinschaft von einer nationalen Bewegung offen aufgekündigt (wurde)“ (S. 183f.). Die Argumentations- und Handlungsmuster sollten sich in den 1980er Jahren unter einem anderen nationalen Vorzeichen in Serbien wiederfinden, wo 1986 ein Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften, ein „paranoides Pamphlet zur Lage Serbiens und des serbischen Volkes“, in seiner schwer durchschaubaren Mischung von Tatsachen, unbewiesenen Behauptungen und Beschuldigungen einen „physische(n), politische(n), rechtliche(n) und kulturelle(n) Genozid“ (S. 241f.) an der serbischen Bevölkerung in Kosovo konstatieren wollte und zielgerichtet alte Feindbilder, Stereotypen und Vorurteile aktivierte. „Genozid“ wurde bald zum „Topthema“ und „in den 1980er- und 90er-Jahren […] inflationär gebraucht und missbraucht“, sodass „nach dem jugoslawischen Strafgesetzbuch § 134 […] in vielen Fällen de(r) Tatbestand der ‚Volksverhetzung‘ erfüllt“ gewesen sein dürfte (S. 235). An anderer Stelle deckt der Verfasser die Inkonsistenz des „historische Rechte“ reklamierenden Anspruchs Serbiens auf Kosovo auf, indem er fragt: „Welche Zeit bildet den Ausgangspunkt für die Begründung von Rechten? Kosovo hat im Verlauf der Jahrhunderte zu vielen Staaten gehört: zum Oströmischen/Byzantinischen Reich, zum mittelalterlichen bulgarischen Reich, zum mittelalterlichen serbischen Reich und schließlich zum Osmanischen Reich. Die längste Zeit hat es zum Byzantinischen und zum Osmanischen Reich gehört. Wie also lässt sich begründen, dass die Zugehörigkeit Kosovos zum mittelalterlichen Serbien entscheidend dafür ist, wer heute Anspruch auf dieses Territorium hat? Eine anschlussfähige Begründung dafür gibt es nicht“ (S. 222).

 

Dessen ungeachtet war das „Memorandum“ Auftakt zu den geschickten, von einer zunehmend handlungsunfähigen jugoslawischen Staats- und Parteiführung geduldeten populistischen Masseninszenierungen (dogadjanje naroda - „das Sich-Ereignen des Volkes“) des aufstrebenden Politikers und Juristen Slobodan Milošević und seiner „Antibürokratische(n) Revolution“, welche die Bevölkerung zunehmend vereinnahmten. „Selbst diejenigen, die den Wahrheitsgehalt der Reden und Medienberichte bezweifelten – beweisen, dass sie falsch waren, konnten sie das in der Regel nicht. Ungewissheiten blieben. Und dann kamen weitere ‚Nachrichten‘, immer mehr, begleitet von schrecklichen Bildern. Und wieder dieselben Zweifel, wieder die Ungewissheiten. Gegen die Phalanx von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Priestern und Politikern sowie Medien waren die Zweifler machtlos und isolierten sich selbst“. Holm Sundhaussen ist es wichtig, seinen oben ausgeführten Prämissen treu zu bleiben und auch in diesem Zusammenhang erläuternd festzuhalten: „Serbisch war die spezifische Staffage und Inszenierung des diskursiven Raums, während die Reaktion großer Teile der Bevölkerung nicht ‚serbisch‘ oder ‚balkanisch‘, geschweige denn anomal war. […] Wer die hier skizzierten Ereignisse als ‚typisch serbisch‘ interpretiert, verwechselt Volk und Masse. […] Das Verhalten von Massen kennt keine nationalen und zeitlichen Grenzen: es ist latent allgegenwärtig und ubiquitär“ (S. 265f.). Dem Journalisten und Jugoslawien-Kenner Victor Meier, der von einer „Prädisposition im serbischen Volk“ und davon spricht, dass „das Problem […] Serbien an sich zu sein (scheint) und nicht diese oder jene Führungsschicht“, hält er entschieden entgegen: „Meier ist kein Historiker, auch kein Soziologe oder Sozialpsychologe. Anderenfalls wäre ihm nicht entgangen, dass jede Gesellschaft, zumal in Krisenzeiten, indoktrinierbar und manipulierbar ist, sofern es keine Zivilgesellschaft gibt und die öffentliche Meinung breitenwirksam gesteuert wird. Unter diesen Voraussetzungen kann jede Gesellschaft zu einem Problem ‚an sich‘ werden“ (S. 253). Und für die viel zitierten ethnischen Säuberungen gelte Ähnliches: „Obwohl der Begriff durch serbische Medien seinen Weg in die Weltöffentlichkeit fand, sind ethnische Säuberungen keine serbische oder balkanische Erfindung. Sie gehören zu den prägenden Merkmalen der Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (S. 341). (Nicht ganz konsequent erscheint hier allerdings, dass zwei Zeilen weiter gerade die Balkankriege von 1912/13 als Beispiel angeführt werden…) Dass „die postjugoslawischen Kriege ethnische Kriege waren“, sei „offenkundig“, aber auch, dass sie „keine ethnischen Kriege im Sinne der Verursachung“ waren: „Ethnische Gegensätze und ethnischer Hass waren nicht Ursache, sondern Begleiterscheinung und Folge der Kriege. Folge auch der mentalen Vorbereitungsphase, in der die Feindbilder mittels Gräuelpropaganda und Neuinszenierung des Zweiten Weltkriegs kreiert oder reaktiviert worden waren“ (S. 342). Die Rolle der internationalen Gemeinschaft vor, während und nach dem Staatszerfall und den Kriegen nimmt der Verfasser als „beschämend“ (S. 517) wahr.

 

Es kann hier nicht der Ort sein, den sachkundigen und verästelten Wegen dieses Bandes durch die Geschichte Jugoslawiens in allen ihren Einzelheiten nachzugehen; sie führen unter anderem vom Stalinismus zur Selbstverwaltung, von der Isolation zur Blockfreiheit, zeigen die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge, aber auch die Defizite der Tito-Ära, den Kollaps der Wirtschaft und des Selbstverwaltungssystems, Miloševićs Aufstieg und den serbisch-slowenischen Antagonismus und enden nach den postjugoslawischen Kriegen mit ihren gesellschaftlichen Verwerfungen und justiziellen Folgen bei den Neuanfängen und Krisen in den territorialen Erbmassen des zerbrochenen Staatswesens. Zu erwähnen sind ferner zwei Exkurse, die sich analytisch mit der Genese von Massengewalt (S. 381ff.) und den Etiketten Orientalismus, Okzidentalismus und Balkanismus (S. 397ff.) befassen. Dennoch sei auf einige interessante, rechtsgeschichtlich bedeutsame Hinweise im Rahmen dieser Arbeit aufmerksam gemacht. Im Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung von Wohlstand und Armut als Hinterlassenschaft der habsburgischen bzw. osmanischen Herrschaft verweist der Verfasser auch auf die erst im 19. Jahrhundert einsetzende Rezeption des römischen Rechts im Balkanraum: „ Die Verdrängung des vorosmanischen (byzantinisch geprägten) Rechts, des osmanisch-islamischen Rechts und des Gewohnheitsrechts wurden zwar in allen postosmanischen Staaten zügig in Angriff genommen und innerhalb einiger Jahrzehnte formal abgeschlossen, aber viele Anzeichen sprechen dafür, dass die Rezeption des Römischen Rechts ein langfristiger Prozess ist, dessen Unfertigkeit die Rechtskultur bis heute beeinflusst“ (S. 160, FN 253). An der jugoslawischen Bundesverfassung von 1974 ist als Besonderheit das neu gestaltete Wahlrecht hervorzuheben, das mit seinem Delegiertensystem „einzigartig in der Welt“ (S. 190) war und beachtlichen fünf Prozent der Wahlberechtigten zu einem politischen Mandat verhalf. Die laufende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Gliedern der jugoslawischen Föderation und deren jeweiligem rechtlichen Status ergibt wertvolle Beiträge zur Geschichte des Verfassungsrechts.

 

Zahlreich sind die rechtlichen Anknüpfungspunkte im Kontext der Kriege und ihrer Folgen. Nicht jedermann dürfte wissen, dass beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zeitweilig erwogen wurde, wegen der ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats und somit völkerrechtswidrig durchgeführten Luftangriffe Anklage gegen die NATO zu erheben (S. 378 und FN 775). Mit dem 1993 auf Basis der UN-Resolution 827 als Ad-hoc-Gericht für die Verfolgung schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts, begangen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien seit 1991, ins Leben gerufenen internationalen Straftribunal (ICTY) beschäftigt sich in der Folge ein eigenes Kapitel; es erörtert unter anderem die Doktrin des Joint criminal enterprise (JCE), einer „sehr breit ausgelegte(n) Art der Mittäterschaft, die unter Juristen umstritten ist“ (S. 425). Dabei werden nicht nur der Tathergang und das unmittelbare Umfeld der Tat, sondern wird auch der breitere historische Kontext rekonstruiert, ein Verfahren, das an das Procedere deutscher Gerichte bei der Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen erinnert. Das ICTY habe damit „nicht nur das internationale Strafrecht weiter entwickelt“ (S. 424), sondern leiste durch das zusammengetragene Material essentielle Grundlagenarbeit für die zeitgeschichtliche Forschung. Bei allen Widrigkeiten und obwohl „die Fokussierung auf wenige Hauptkriegsverbrecher […] keineswegs unproblematisch (ist), weil damit die ‚kleinen Täter‘, die Mitläufer und Sympathisanten aus der Verantwortung entlassen und scheinbar entlastet werden“, gebe es für die Tätigkeit des ICTY „in den postjugoslawischen Staaten bis etwa 2003 keinen und seither nur einen unzulänglichen Ersatz“ (S. 429). Dem mit der von Beliebigkeit gekennzeichneten Behauptung, „alle waren gleichermaßen schuld (vielleicht mit einigen graduellen Unterschieden)“, verknüpften Vorwurf, das Haager Tribunal sei ein „politisches Gericht“, müsse mit der exakten Rekonstruktion der Kausalitäten entgegengetreten werden, „wer, wann, warum den ersten Stein geworfen bzw. die Lawine der Gewalt ins Rollen gebracht hat“ (S. 431). Die „transitionale Justiz“ (der Übergang von rechtlichem Substandard zu rechtsstaatlichen Verhältnissen) komme in den postjugoslawischen Ländern trotz Drucks der Europäischen Union nur sehr schleppend voran. So wende beispielsweise der EU-Beitrittskandidat Kroatien sein nicht den internationalen Standards entsprechendes und für die Verfolgung von Kriegsverbrechen ungeeignetes Strafgesetzbuch von 1993 an, wodurch zahlreiche Verbrechen straffrei blieben; Opfer- und Zeugenschutz seien kaum entwickelt. Für die öffentliche Meinung sei festzuhalten: „Die Einsicht, dass selbst in einem ‚gerechten‘ oder ‚Verteidigungskrieg‘ nicht alles erlaubt ist und dass die Regeln der Haager Landkriegskonvention für jede Form des Krieges […] gelten, zählte [2011] noch nicht zum Allgemeingut“ (S. 449). Diese Unzulänglichkeiten des Rechtssystems können, mit Ausnahme Sloweniens, paradigmatisch für den immer noch weitgehend tristen Zustand der fragilen Nachfolger des fraktionierten Jugoslawien gesehen werden. Pessimistisch wie realistisch orakelt der Verfasser: „Keiner der neuen Staaten wird – auf sich gestellt – die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen können. Und keiner wird jemals die Bedeutung erlangen, die Jugoslawien einst hatte. Ein großes Zerstörungswerk wurde erfolgreich vollendet“ (S. 517).

 

Holm Sundhaussen gelingt es, die Geschichte des Aufstiegs und des Untergangs Jugoslawiens seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur spannend darzustellen, sondern auch plausibel zu erklären und ihrer Mythen zu entkleiden. Denn nachdem der revolutionäre Elan des Anfangs in dem jungen Staat von der ernüchternden Alltagspraxis aufgerieben worden war, habe die spezifische Konstellation von großer Komplexität auf der einen und dem Fehlen unabhängiger gesellschaftlicher Institutionen auf der anderen Seite die von Intellektuellendiskursen vorbereitete Außerkraftsetzung und Zerstörung der vitalen Regelwerke des Gemeinwesens durch die Politik ermöglicht. Dass die Bevölkerung dann dem generierten zerstörerischen „Mainstream“ folgte, „große Teile der Gesellschaft unter dem propagandistischen Beschuss ihrer ‚Führer‘ kollektiv den Verstand aufgaben“, entspreche der allgemeinen Erfahrung und dürfe nicht überraschen, im Gegenteil: „Es wäre ungewöhnlich gewesen, hätte sich die Bevölkerung in Jugoslawien anders verhalten, als sie es tat“ (S. 516). Unter diesen Gesichtspunkten begreift sich der Weg Jugoslawiens in den Untergang als eine Spielart der Realisierung universell wirkmächtiger Prinzipien. Das überzeugt und stellt den Verfasser quasi in einen neutralen Raum, der gleichermaßen sachliche Kritik zulässt und vor der Versuchung einseitiger Parteinahme schützt. Zweifellos muss diese in einem allgemein verständlichen Ton geschriebene, brandaktuelle Studie Pflichtlektüre für jedermann sein, der sich die historischen Entwicklungen und den Status quo im Balkanraum fundiert zu erschließen sucht.

 

Unterfüttert ist der um ein Namensregister erweiterte Text des Bandes mit statistischem Datenmaterial, das in Form von elf Tabellen im Anhang versammelt ist, sowie mit 40 meist kleinformatigen Schwarzweiß-Abbildungen. Positive Erwähnung verdient auch das Monographien und Sammelbände nicht in alphabetischer, sondern in chronologisch-systematischer Gliederung besonders übersichtlich auflistende Quellen- und Literaturverzeichnis, während Hinweise auf Aufsätze, Internetquellen und sonstige Beiträge ausschließlich dem bewusst sparsam eingesetzten Fußnotenapparat zu entnehmen sind.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic