Stewen, Susanne, Die Entwicklung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger und seiner sozialen Begleitrechte (= Jus Internationale et Europaeum 50). Mohr (Siebeck), Tübingen, 2011. XX, 287 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am Anfang seiner Geschichte war der Mensch frei und konnte auf der Suche nach guten Lebensbedingungen von seinem wohl ostafrikanischen Ausgangspunkt im Rahmen seiner Möglichkeiten ziehen, wohin immer er wollte. Mit seiner Vermehrung stellte er dieser Freiheit wohl vor allem sich selbst in den Weg, indem er Stücke der Erde jeweils für sich und seine Horde allein beanspruchte und anderen zu verwehren versuchte. Mit dem Staat kam dann die feste, mit aller Macht verteidigte Grenze, die den Staatsangehörigen nach Möglichkeit einschloss und vor allem den Fremden möglichst ausschloss.

 

Mit einer modernen Variante dieser wichtigen geschichtlichen Frage befasst sich die von Jörg Gundel betreute, der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Wintersemester 2008/2009 vorgelegte Dissertation, der 1976 geborenen, nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Bayreuth und Paris am Lehrstuhl ihres Betreuers als wissenschaftliche Assistentin und nach der 2010 erfolgten Promotion als Referentin im hessischen Ministerium des Inneren und für Sport tätigen Verfasserin. Sie gliedert sich nach einer kurzen Einleitung in drei Kapitel. Sie betreffen die Unionsbürgerschaft, das Freizügigkeitsrecht im Gefüge der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsgewährleistungen und die Begleitrechte  des Freizügigkeitsrechts.

 

Ausgangspunkt für die sachkundig nachgezeichnete Entwicklung eines allgemeinen Freizügigkeitsrechts in der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union waren die vom Europäischen Gerichtshof aus den Grundfreiheiten der Gemeinschaftsverträge hergeleiteten Freizügigkeitsrechte verschiedener Gruppen von Erwerbstätigen und deren allmähliche Ausdehnung auch auf nicht-erwerbstätige Gemeinschaftsbürger wie Touristen und Studierende sowie Familienangehörige. Primärrechtlich verankert wurde das allgemeine, Drittstaatsangehörige aus dem Unionsgebiet freilich wie früher Ausländer aus dem Staatsgebiet grundsätzlich ausschließende Freizügigkeitsrecht als erstes und wichtigstes Unionsbürgerrecht durch den Vertrag von Maastricht in Art. 18 I EGV (Art. 21 I AEUV), ohne dass die Differenzierung einzelner Personengruppen nichterwerbstätiger Unionsbürger sowie die Unterscheidung zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Unionsbürgern aufgehoben wurde. So sehr die Verfasserin in ihrer überzeugenden Untersuchung die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Entwicklung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger betont, so sehr verweist sie am Ende ihrer sorgfältigen Darlegungen für die Aufwertung des Bürgerstatus insgesamt und die Zuweisung eines eigenständigen Gewichts des Bürgers in der Gemeinschaft doch auf die Politik und schränkt damit die Justiz auf ihre eigentliche engere Aufgabe ein.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler