Schröder, Jan, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1933), 2. Aufl. Beck, München 2012. 506 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Jan Schröder wandte sich nach seiner Promotion bei Eberhard Schmidhäuser als wissenschaftlicher Assistent Gerd Kleinheyers dem Recht als Wissenschaft zu und betrachtete als erstes zusammen mit seinem akademischen Lehrer Wesen und Werk deutscher Juristen aus fünf Jahrhunderten unter besonderer Berücksichtigung von Wissenschaftstheorie und Lehre der praktischen Jurisprudenz auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert. Dieser Gegenstand hat ihn seit dieser Zeit derart interessiert, dass er ihn sowohl in seiner Vorgeschichte wie auch in seiner späteren Entwicklung sorgfältig und engagiert verfolgte. Hieraus ist 2001 die grundlegende Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit entstanden, die umgehend als eines der juristischen Bücher des Jahres anerkannt wurde.

 

Mit bewundernswerter Beharrlichkeit ist er danach seinem Gegenstand treu geblieben. Deswegen kann er rund zehn Jahre später eine zweite Auflage vorlegen. Obwohl dies der Titel des Werkes nur bei genauerem Hinsehen erkennen lässt, ist das neue Werk nicht einfach nur eine zweite, verbesserte Ausgabe, sondern eine wesentliche Erweiterung der bisherigen drei Teile um einen vierten Teil, mit dem der Verfasser über das 19. Jahrhundert hinaus bis zum Jahre 1933 und damit eigentlich bis zur Gegenwart ausgreift.

 

Das Vorwort der ersten Auflage eröffnet die Aussage, dass bekanntlich selbst unter Juristen umstritten ist, ob man die Jurisprudenz als Wissenschaft bezeichnen kann. Die Antwort hierauf lässt der Verfasser äußerlich vom Gegenstand und von der Methode abhängen, mit denen sich die juristische Methodenlehre im engeren Sinn und die Rechtsquellenlehre und damit insgesamt die juristische Methodenlehre im weiteren Sinn befassen. Innerlich beantwortet der Verfasser seine rhetorische Frage selbst mit dem Werktitel Recht als Wissenschaft zweifelsfrei positiv.

 

In der Folge bot bereits die erste Auflage die erste umfassendere Darstellung der Geschichte (erstens) der Rechtsquellenlehre und (zweitens) der Methodenlehre in der frühen Neuzeit und durch den Ausgriff auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts auch bereits darüber hinaus. Wegen fehlender rechtsgeschichtlicher Vorarbeiten musste sie weitgehend aus der theoretischen Rechtsliteratur dieser Zeit unmittelbar erarbeitet werden. Der Plan hierzu entstand um 1985, die Niederschrift begann 1997, sodass trotz der sachlichen Schwierigkeiten des Unterfangens das Unternehmen letztlich in überschaubarer Zeit zu einem beeindruckenden Erfolg geführt werden konnte.

 

Kern der Untersuchung war bereits damals das Verfahren der Feststellung des allgemein oder in einem einzelnen Fall anwendbaren Rechtes im Gegensatz zu den Aussagen der dogmatischen Rechtswissenschaft über das geltende Recht. Zu dieser Methodenlehre rechnete der Verfasser die Regeln über die Anwendung der allgemeinen Rechtsnorm auf den einzelnen Rechtsfall (Topik bzw. Argumentationstheorie und Interpretationslehre) und die Regeln über die Ermittlung der allgemeinen Rechtsnorm selbst (Rechtsfindung). Da sich diese Methodenregeln im engeren Sinn vielfach mit der Rechtsquellenlehre berühren, eröffnete der Verfasser schon die drei Teile der ersten Auflage mit einem Abschnitt über die Rechtsquellenlehre, in dem die Begriffe der jeweiligen Rechtsquellen und die Regeln über ihre Kollision behandelt sind, soweit sie für die Methodenlehre im engeren Sinn von Bedeutung sind.

 

Der erste, vorsichtig als Fortsetzung der mittelalterlichen Tradition und erste Neuerungen (1500 bis 1650) betitelte Teil erfasst diesbezüglich Naturrecht, positives Recht (Gesetz, Gewohnheitsrecht) und Billigkeit (und im Rahmen ihres Verhältnisses zueinander Stadtrecht, Landrecht, Reichsrecht, deutsches Recht und gemeines römisches Recht) sowie in der Methodenlehre vor allem die Topik, die Theorie der Gesetzesinterpretation und die Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung. Im zweiten, die konstruktive Vernunft und die Geschichte entdecken lassenden Teil (1650 bis 1800) werden nach der Entstehung eines dualistischen Rechtsbegriffs durch den gesetzgeberischen Willen Naturrecht, positives Recht, Analogia iuris und fragend Gerichtsgebrauch gegenübergestellt und in der Methodenlehre juristische Argumentationstheorie, Theorie der Gesetzesinterpretation und Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung erörtert. Im dritten Teil geht es auf der Grundlage des Rechtsbegriffs der historischen Schule um die Rechtsquellen Gewohnheitsrecht (Volksrecht, Juristenrecht, Gerichtsgebrauch), wissenschaftliches Recht und Gesetz und in der Methodenlehre (ganz kurz) um Topik, (und ganz ausführlich) um Theorie der Gesetzesinterpretation und Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung.

 

Insgesamt findet der Verfasser in der Theorie der Gesetzesinterpretation in seinen drei Abschnitten drei Stufen. Im Ausgangspunkt erscheint sie wertbezogen und vernunftbezogen, danach vernunftbezogen und willensbezogen  und schließlich historisch-textbezogen. Damit verbindet er eine fortschreitende Einengung des Interpretationsspielraums.

 

Auf dieser Grundlage kann der Verfasser sich in seinem neuen vierten Teil dem Aufstieg der Rechtsprechung (1850 bis 1933) zuwenden. Dabei stellt er den Übergang zu einem voluntaristischen Rechtsbegriff an den Anfang der Rechtsquellenlehre und untersucht danach Gesetz, Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung, wobei er den zivilrechtlichen Generalklauseln und den Grundrechten besondere Bedeutung beimisst. In der Methodenlehre untersucht er die Theorie der Gesetzesinterpretation und die Theorie der wissenschaftlichen Rechtsfindung.

 

Für den seit etwa 1870 die idealistischen Vorstellungen der historischen Rechtsschule ablösenden voluntaristischen Rechtsbegriff erkennt er drei Varianten. Die Interesssenjurisprudenz sieht auf den realen Unterbau des Rechtes, Neukantianismus und Neuhegelianismus beziehen sich auf den philosophischen Überbau und die ohne weitreichende Bedeutung bleibende reine Rechtslehre stellt nur auf die reine Rechtsnorm ab. Ihre gemeinsame voluntaristische Grundhaltung zeigt sich dem Verfasser in neuen Begriffen des Gesetzes und des Gewohnheitsrechts sowie in der Entdeckung des Richterrechts. Am Ende äußert er die naheliegende Überzeugung, dass sich die verschiedenen rechtstheoretischen Richtungen des 19. und 20. Jahrhunderts nur bei Berücksichtigung ihres geschichtlichen Entstehungszusammenhangs wirklich verstehen lassen.

 

Insgesamt veranschaulicht der Verfasser die Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit nach Ausweis des Umschlagbilds in einer alles überragenden Einheit eines einzelnen Menschen. Dementsprechend verfolgt er in einer überzeugenden Lebensleistung auch ein geschlossenes persönliches Konzept, das nicht nur zu zahlreichen einzelnen neuen Erkenntnissen, sondern auch zu einer einleuchtenden Gesamtdeutung führt. Vielleicht lässt sie sich ja eines Tages auch über 1933 bzw. 1945 hinaus bis in die unmittelbare Gegenwart fortführen, wodurch sie für alle Leser noch weiter an hilfreichem Erklärungswert für das Recht als vielfältige Wissenschaft gewinnen kann.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler