Scholtyseck, Joachim, Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie. Beck, München 2011. 1183 S., 64 Abb., 3 Kart. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das diversifiziert angelegte Vermögen der um 1700 von Holland nach Brandenburg auswandernden, im 20. Jahrhundert zu Reichtum gelangenden Familie Quandt (BMW, Altana, Daimler, Delton, Datacard, Heel, Thiel, Varta, Solarwatt, Gemalto, Nordex) wird auf 20 Milliarden Euro geschätzt, so dass ihre Mitglieder zu den reichsten Bewohnern Deutschlands gehören. Sie gelten aber als öffentlichkeitsscheu und verschwiegen sowie bis 2007 auch veröffentlichungsscheu. Von daher ist oder war die Geschichte dieser Unternehmerdynastie eine interessante Herausforderung.

 

Der in Bonn 1958 geborene Verfasser wurde nach dem Studium von Geschichte, politischer Wissenschaft, Kunstgeschichte und Soziologie in seiner Heimatstadt 1991 auf Grund seiner Dissertation über Italien und Deutschland in der Zeit des Kulturkampfs promoviert. Als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Karlsruhe wurde er 1998 auf Grund einer Arbeit über Robert Bosch und den liberalen Widerstand gegen den Nationalsozialismus habilitiert. Nach seinem Ruf nach Bonn legte er gewichtige Werke über die Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik und die Geschichte der National-Bank von 1921 bis 2011 vor.

 

Sein durch eine Fernsehdokumentation des Norddeutschen Rundfunks im Herbst 2007 über das Schweigen der Quandts ausgelöstes, danach unter dem dadurch ausgelösten öffentlichen Druck von den Familienmitgliedern uneingeschränkt unterstütztes, umfänglich recherchiertes, einnehmend geschriebenes, inzwischen bereits in zweiter Auflage veröffentlichtes, mit umfangreichen angehängten Anmerkungen, Literaturhinweisen und je einem Personenregister und Firmenregister versehenes Werk über den Aufstieg der Quandts gliedert sich in 17 Abschnitte, die nach einer kurzen Einleitung mit Tuchfabriken im Kaiserreich (1883 Übernahme einer Tuchmanufaktur des früheren Arbeitgebers durch Emil Quandt und anschließende Herstellung etwa von Uniformen) einsetzen. Dem folgen die Suche nach neuen Geschäften in der Inflationszeit, der Einstieg bei der Accumulatorenfabrik, die Befassung mit den Berlin Karlsruher Industriewerken, eine bilanzierende Ermittlung von Charakteristika (Rationalisierung, Modernisierung), das Verhältnis zum Nationalsozialismus, das Wachstum in der Zeit der Aufrüstung, die Expansion in das besetzte Ausland und die Zwangsarbeit bei den Quandt-Unternehmen, die Unternehmenspolitik im Angesicht der Kriegsniederlage sowie die Restrukturierung nach dem Krieg. Im Ergebnis gelangt der Verfasser zu der Erkenntnis, dass Günther Quandt (1881-1954) und sein Sohn Herbert Quandt (1910-1982) die offenkundigen Widersprüche zwischen der nationalsozialistischen Politik einerseits und dem geltenden Recht wie dem moralischen Ideal des ehrbaren Kaufmanns andererseits hätten erkennen können und müssen (aber nicht erkannten und erkennen wollten), weshalb er den Aufstieg der Familie Quandt am Ende ansprechend als ein zum Nachdenken anregendes geschichtliches Beispiel deutscher Unternehmergeschichte einordnet.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler