Schmidt, Christine, Rechtsnatur und Verpflichtungsdichte der europäischen Grundrechte (= Europäisches und unternationales Recht 80). Herbert Utz Verlag, München 2012. 534 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Trotz der Magna Charta libertatum Johann Ohnelands für die englischen Barone vom 15. Juni 1215, der Erklärung von Dordrecht vom 15./16. Juli 1572, der Petition of Rights von 1628, des Habeas-Corpus-Act von 1679 und der Declaration of Rights von 1689 wird erst 1770 von droits fundamentaux im Sinne grundlegender Rechte des Einzelnen gegenüber dem Herrscher und seinem Staat gesprochen. Seitdem sind Grundrechte aber in die meisten der seit 1776 geschaffenen formellen Verfassungen der Staaten weltweit aufgenommen. Trotz des erkennbaren Widerstands Großbritanniens gegen eine gesetzesförmliche Festlegung hat die Diskussion über eine Verfassung für den Staatenverbund Europäische Union im Rahmen der neuesten eruropäischen Verfassungsgeschichte seit einiger Zeit auch diesen Punkt erfasst.
Die vorliegende Untersuchung ist die von Rudolf Streinz betreute, im Jahre 2008 von der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth angenommene, für die Veröffentlichung überarbeitete und auf den Stand von Mai 2012 gebrachte Dissertation der inzwischen bei der Stadt Bamberg tätigen Verfasserin. Sie gliedert sich außer in Einleitung und Fazit in vier Sachabschnitte. Sie beginnen mit der deutschen Rechtslage, ziehen zum Vergleich die Mitgliedstaaten Frankreich, Spanien, Großbritannien, Finnland, Schweden, Österreich, Italien, die Niederlande, Polen, Ungarn und die Schweiz (!) heran, behandeln danach die Ausgangspunkte bzw. Grundlagen im Europarecht und wenden sich schließlich vertieft den Regelungen in der Grundrechtecharta im Einzelnen zu.
Hierbei unterscheidet die Verfasserin ansprechend fünf Gruppen. Dementsprechend erörtert sie subjektiv öffentliche Rechte (Menschenwürde, Leben und Unversehrtheit, Freiheitsrecht, Gleichheit, Bürgerrechte wie Wahlrechte, Verwaltung, Verfahrensrechte, Transparenz, Petitionsrechte, Freizügigkeit und diplomatischen Schutz sowie justizielle Rechte), soziale Grundrechte als individuelle Rechte, Grundsätze nach Art. 52 V GRC, Handlungs- und Gesetzgebungsaufträge sowie Unionszielbestimmungen. Am Ende ihres erkennbar während des Schwebezustands der europäischen Grundrechtsbestimmungen entstandenen Untersuchung bringt die Verfasserin ihre vielfältigen Einzelerkenntnisse in 23 Thesen zum Ausdruck, wobei sie ansprechend davon ausgeht, dass der Grundrechtsbestand der nationalen Verfassungen wie auch Weiterentwicklungen im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention einen bedeutenden Einfluss auf die Auslegung der Grundrechtecharta der europäischen Union ausüben (werden).
Innsbruck Gerhard Köbler