Schafranek, Hans, Söldner für den „Anschluss“. Die Österreichische Legion 1933-1938. Czernin Verlag, Wien 2011. 496 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Einen nützlichen Beitrag zur Erforschung der noch kaum bekannten Organisationsgeschichte der frühen nationalsozialistischen Bewegung und ihres militärischen Arms und zugleich Konkurrenten, der Sturmabteilung (SA), in Österreich liefert die Studie Hans Schafraneks, die sich auf einer breiten Quellenbasis mit Werdegang und Struktur der legendenumwobenen Österreichischen Legion befasst, jener zwischen 1933 und 1938 existierenden „Söldnertruppe, die aus zeitweilig fast 10.000 nach Bayern geflüchteten österreichischen NS-Aktivisten bestand (infolge hoher Fluktuation erreichte die Gesamtzahl über 15.000)“ und die „besonders 1933/34 dazu bei(trug), das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich massiv zu verschlechtern, ja sogar die Gefahr einer militärischen Intervention Italiens heraufzubeschwören“; darüber hinaus spiegelten sich in dieser Truppe die „Auseinandersetzungen zwischen österreichischer SA und SS“ ebenso wie die Spannungen „rivalisierender Parteiinstanzen und staatlicher Behörden“ des Dritten Reichs (S. 22).

 

Der Verfasser, promovierter Historiker und Mitarbeiter am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, ist unter anderem bereits mit einer Arbeit zum thematisch eng verwandten Komplex des nationalsozialistischen Juliputsches 1934 (2006) publizistisch hervorgetreten und hat für den vorliegenden Band eine beeindruckende Zahl an Archivalien gesichtet, unter denen sich vor allem die nunmehr im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde verwahrten Personalakten aus dem ehemaligen Berlin Document Center (BDC) und die Personalakten von SA-Angehörigen des Gaupersonalamtes Wien im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik als für den Gegenstand besonders ertragreich erwiesen haben. Eine auf dieser Materialbasis von Schafranek erstellte und für die vorliegende Monographie ausgewertete Personaldatenbank mit 16 Rubriken (Name, Geburtsdatum, Geburtsort, Land, Wohnort - politischer Bezirk – Bundesland vor Flucht, Beruf, NSDAP-Beitritt und Mitgliedsnummer, SA-Beitritt, Beitritt zur Legion, Legionslager in Deutschland, SA-Dienstränge, Tätigkeit nach 1938, Sonstiges) erschließt bis dato statistisch über jeden Legionär bereits zehn (von insgesamt 15 vorgesehenen) Eckdaten. Folgerichtig durchziehen biographisch geprägte Elemente durchgehend sowohl die  Illustrationen (überwiegend Legionärsporträts) als auch die Darstellung.

 

Diese setzt allgemein mit einem Abschnitt „Terror und Propaganda“ der SA in Österreich vor dem Parteiverbot im Juni 1933 ein, das nach einer Welle spektakulärer nationalsozialistischer Anschläge einen durch drohende Strafverfolgung motivierten Exodus österreichischer NS-Aktivisten nach Bayern und deren Zusammenfassung im Lager Lechfeld (dann auch in Wöllershof, Egmating, Bad Aibling, Bad Tölz, München, Passau und Vilshofen) nach sich ziehen sollte. Während die SA-Legionäre dort der vom Österreicher Hermann Reschny geführten SA-Obergruppe VIII (später auf XI umbenannt) unterstanden, wurden österreichische SS-Angehörige nach heftigen Konflikten mit der SA-Führung bald ins „Hilfswerklager“ Dachau abgezogen, weshalb Hans Schafranek die Bezeichnung Österreichische Legion (die im Übrigen erst ab März 1938 im amtlichen Schriftverkehr Verwendung fand) ausschließlich geflohenen Angehörigen der SA zubilligt.

 

Präzise analysiert der Verfasser auf der Grundlage seiner oben erwähnten Datenbank das Sozialprofil der Legionsangehörigen, das er auch in Relation zu jenem der Juliputschisten bringt. Demnach war die Legion „quantitativ von manuellen Arbeitern und ‚Gehilfen‘ aus zumeist handwerklichen Berufen dominiert“, die „am schwächsten vertretene Gruppe bildeten die Angehörigen akademischer Berufe“ (S. 67ff.). Darüber hinaus war der „typische“ Legionär unter 30 Jahre alt (über 80 %), unverheiratet, aus der Steiermark (Höchstwert absolut), Salzburg (Höchstwert in Relation zur Wohnbevölkerung) oder dem Kärntner Bezirk Wolfsberg (absoluter und relativer Bezirks-Höchstwert) stammend und sowohl Mitglied der SA als auch der NSDAP.

 

Aus dem Blickwinkel der Rechtsgeschichte interessieren vor allem die Straftaten, derer sich viele der Legionäre schuldig machten, sowie ob und in welcher Weise sie dafür von Disziplinarbehörden und Gerichten des NS-Regimes, des Ständestaates oder der Nachkriegsjustiz zur Verantwortung gezogen wurden. Eingebettet in den Fluss der allgemeinen Entwicklung der Legion finden sich immer wieder Kapitel, die in exemplarischer Weise besonders markante oder gut dokumentierte Causen ausführlicher darstellen. Dies betrifft vor allem die Abschnitte 5 („Grenzkonflikte, Sprengstoffschmuggel, politische Morde…“), 11 („Biografische Beiträge“), die Teilabschnitte 12.2 („Wiederaufflackern des Terrors? Der Fall Woitsche und das Hilfswerk Nordwest“) und 13.6 („Legionäre in der ‚Reichspogromnacht‘ 1938“), sowie Kapitel 14, eine alphabetisch geordnete, 138 Personen umfassende, bisweilen von Porträtfotografien begleitete und von Andrea Hurton ausgearbeitete Zusammenstellung des Führungskorps der Österreichischen Legion. Die Teilkapitel 13.2 („‘Wiedergutmachungs‘-Ambitionen und ihre Auswüchse“), 13.3 („Ein Gruppenführer als Provisionsvertreter? – Ein Unikum im Dritten Reich!“), 13.4 („Funktionierende Seilschaften“), 13.5 („…charakterlich jüdisch verwahrloster Zustand …“) und 13.7 („Von der ‚Ostmark‘ ins ‚Protektorat‘“) beschäftigen sich mit konkreten, mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen Legionsangehöriger, sich im Zuge von Arisierungen schadlos zu halten.

 

Abgesehen von Schmuggelaktionen, den sich durch eine erschreckende Brutalität auszeichnenden Anschlägen und Überfällen sowie ihrer Rolle beim Juliputsch 1934 erlangte die Legion als geschlossene Formation auf exekutiver Ebene niemals relevante Bedeutung, wie auch niemals exakte Vorgaben für einen etwaigen Verwendungszweck existierten. In den Lagern kurz gehalten und militärisch gedrillt, waren die Österreicher nicht zuletzt aufgrund der ihrer Frustration erwachsenden, sich intern wie nach außen hin Raum schaffenden Aggressivität in ihrem reichsdeutschen Exil höchst unbeliebt. Mit der Enthauptung der SA (sogenannter Röhm-Putsch) und dem Scheitern des Juliputsches im Sommer 1934 wurde von Seiten des Deutschen Reiches eine neue Linie in den politischen Beziehungen zu Österreich eingeschlagen, im Zuge derer der Legion bis auf Weiteres jeglicher Kontakt zu den nationalsozialistischen Kräften in Österreich untersagt und sie selbst - der Auflösung nur mit Mühe entgehend und ab Februar 1935 als „Hilfswerk Nordwest“ (HWNW) firmierend – erheblich zurechtgestutzt wurde. Wenn die Legionäre glaubten, mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 habe nun endlich ihre Stunde als Invasionsarmee geschlagen, so mussten sie ein weiteres Mal eine bittere Enttäuschung erleben: Ihr verspäteter Einzug in der alten Heimat hatte nicht mehr als den Stellenwert eines propagandistischen Spektakels. Noch gravierender jedoch war, dass damit das Kalkül ihrer Gegner aus SS und Partei aufgegangen war, durch die rasche Übernahme lukrativer Machtpositionen jene von den erstrebten Futtertrögen fernzuhalten; selbst der ranghöchste österreichische SA-Führer und Kommandeur der Legion, Hermann Reschny, sah sich nach einem zweimonatigen Intermezzo als Chef der „Gruppe Österreich“, dem alle österreichischen SA-Formationen unterstanden, bald zum Führer einer neuen „Gruppe Donau“ (Wien, Niederösterreich) herabgestuft, was über die räumliche Beschneidung seiner Befehlsgewalt hinaus durch die funktionale Gleichstellung mit rangniedrigeren SA-Chargen einer De-facto-Degradierung gleichkam. Das Ende der Legion im Laufe des Jahres 1938 war vorgezeichnet: „Angesichts der politischen Perspektivlosigkeit eines weiteren Verbleibens in der  Legion und besonders in der Erwartung einer baldigen Auflösung war die Zahl ihrer Angehörigen binnen zweier Monate von 8.317 (März 1938) auf 2.740 (22. Mai 1938) gesunken. […] Am 26. Juni 1938 betrug die Zahl der aktiven Legionäre nur noch 911 […] Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine im Auflösungsprozess dieser SA-Formation entstandene Abteilung, die ‚Abwicklungsstelle der Österreichischen Legion‘, primär zu dem Zweck geschaffen wurde, um ihren eigenen Mitarbeitern den Fortbestand der Bezüge zu sichern. Denn dieser bürokratisch aufgeblähte Apparat, der eine rapide schwindende Anzahl von Legionären und arbeitslosen Abgerüsteten zu betreuen hatte, umfasste nicht weniger als 220 (!) Beschäftigte.“ (S. 366f.)

 

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Verfasser mit einer gewissen Freude am Fabulieren bisweilen Skurriles ausbreitet, etwa wenn er den SA-Führer Günther Mark von Traisenthal (seine seitenfüllende Porträtaufnahme findet sich auf S. 247) als „verhinderten ‚Rassenschänder‘“ vorstellt, dessen ungelenke amouröse Avancen von der Jüdin Gertrud Feuchtwanger intellektuell geschickt gekontert werden. Und auch der „Promi-Faktor“ wird bedient: So wissen nach der Lektüre von Schafraneks „Söldnern“ all jene, die es bislang noch nicht wussten, dass Robert Haider, Vater des tödlich verunglückten, schillernden Rechtspopulisten und Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider, Mitglied der Legion und an den bekannten Kollerschlager Ereignissen vom 26. Juli 1934 - etwa 40 schwer bewaffnete Legionäre waren ins Mühlviertel eingedrungen – aktiv beteiligt war: „Eine 15-köpfige Gruppe, der u. a. die Legionäre Paul Bar, Johann Ruff, Hermann Schreiber und Robert Haider  angehörten, überfiel das Zollgebäude in Hanging und hisste dort die Hakenkreuzfahne“ (S. 300; auf dem gegenüberliegenden Blatt ein fast seitengroßes Brustbild Haiders in der Uniform eines Scharführers der SA).

 

Bedeutsamer ist der wissenschaftliche Ertrag dieses mit einem Personenregister und den üblichen Verzeichnissen ausgestatteten Bandes: Er vermittelt grundlegendes, bisher fehlendes Wissen über die Aufbauphase der nationalsozialistischen Bewegung auf österreichischem Boden während der Zeit des Ständestaats und beleuchtet deren bestimmende Triebkräfte im Schnittpunkt konkurrierender Machtinteressen vor Ort wie im Deutschen Reich. Dabei arbeitet der Verfasser eine beeindruckende Menge an Dokumenten ein, die sich in der Aufbereitung der Geschichte der Österreichischen Legion zum Bild einer Formation verdichtet, deren politischer Aktivismus in einem heute kaum noch vorstellbaren Ausmaß von krimineller Energie und zügelloser Gewalt geprägt war.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic