Samel, Eric, Historische Entwicklung des Ermittlungsverfahrens als Vorverfahren innerhalb des Strafprozesses. Studien zur Entstehung und Weiterentwicklung des Ermittlungsverfahrens im Strafprozess (= Rechtsgeschichtliche Studien 53). Kovač, Hamburg 2012. 195 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Mit seinem Werk unternimmt Samel den Versuch, die Erkenntnisse über das strafrechtliche Ermittlungs- bzw. Vorverfahren miteinander zu verknüpfen und insoweit eine Gesamtdarstellung für das deutsche Strafverfahren vorzulegen. Im ersten Kapitel geht es außer um die Verfahrensprinzipien um die modernen Ermittlungsmethoden (DNA-Analyse) und um das Ermittlungsverfahren „im Lichte Europas“ (S. 31-51; Europäische Menschenrechtskonvention, gemeinsame Ermittlungsgruppen, Institut des Europäischen Staatsanwalts und Europäischer Haftbefehl). Im Anschluss daran behandelt Samel das strafrechtliche Ermittlungsverfahren vor und nach dem 11. Jahrhundert (germanisch-fränkischer Rechtsgang, kanonischer Prozess, Inquisitionsprozess, preußische Kriminalordnung von 1805; S. 47ff., 86ff., 109f.). Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Zeitalter der Aufklärung (S. 111ff.) kommt das französische Strafverfahrensrecht unter Napoleon zur Sprache (S. 115ff.). Das Prinzip „nullum crimen nulla poena sine lege“ war nicht erst im Code pénal von 1811 verwirklicht worden (vgl. S. 116). Die Bedeutung der französischen Staatsanwaltschaft (ministère public, nicht ministre public) hätte noch detaillierter herausgearbeitet werden sollen (S. 116ff.). Nicht erstmals durch den Code d’instruction criminelle, sondern bereits erheblich früher erfolgte die Einführung des juge de paix (vgl. S. 121).

 

Nach der Darstellung der Bedeutung des Rheinisch-Französischen Rechts für die Gesamtentwicklung in Deutschland folgt ein Abschnitt über den reformierten Strafprozess unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Preußen, das 1846 die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsorgan für Berlin und dann allgemein auch durch eine Verordnung vom 3.1.1849 einführte. Die von Savigny und den Justizverwaltungsministern bestimmte Reformgeschichte hinsichtlich der preußischen Staatsanwaltschaft hätte detaillierter dargestellt werden sollen (hierzu u. a. Alexander Ignor, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846, Paderborn 2002, 263ff.). Die Reichsstrafprozessordnung von 1877 schloss die  Rezeption des französischen ministère public ab (vgl. S. 146). Das Kapitel über das Ermittlungsverfahren ab dem 20. Jahrhundert (S. 149 ff.) zeigt nur noch die Grundzüge der Entwicklung auf. Mit Recht stellt Samel fest, dass im Verlauf der NS-Zeit nicht die Staatsanwaltschaft durch die Polizei ermittelt habe, sondern die Justiz „Ausführungsorgan der Gestapo geworden“ sei (S. 159f.). Insgesamt hätte jedoch das Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei auch für die Zeit nach 1949 vor allem im Hinblick auf die Reformprojekte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ausführlicher thematisiert werden sollen (vgl. S. 166f.; vgl. auch die Überblicksaufsätze von Hermann Häring und Josef Römer über das „Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei“ in: Kriminalistik 1979, 269ff., 275ff.). Mit dem Werk Samels liegt ein gut lesbarer Überblick über die Entstehung und Entwicklung des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens vor, der für die Zeit bis 1800 überzeugender ausfällt als für das 19. und 20. Jahrhundert. Letzteres hängt vor allem damit zusammen, dass die Darstellung für die Zeit ab dem reformierten Strafprozess sehr stark auf die Institution der Staatsanwaltschaft ausgerichtet ist und in diesem Zusammenhang u. a. Fragen der Organisation der Staatsanwaltschaft wohl zu kurz gekommen sind. Insgesamt verdeutlicht das Werk Samels, dass neben den spezielleren Forschungen Überblicksdarstellungen, die nicht erst mit dem 19. Jahrhundert beginnen, unverzichtbar sind.

 

Kiel

Werner Schubert